Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Lyrik im thematischen Längsschnitt

Aus ZUM Projektwiki

Bertolt Brecht: Über das Zerpflücken von Gedichten (ca. 1935): Der Laie hat für gewöhnlich, sofern er ein Liebhaber von Gedichten ist, einen lebhaften Widerwillen gegen das, was man das Zerpflücken von Gedichten nennt, ein Heranführen kalter Logik, Herausreißen von Wörtern und Bildern aus diesen zarten blütenhaften Gebilden. Demgegenüber muss gesagt werden, daß nicht einmal Blumen welken, wenn man in sie hineinsticht. Gedichte sind, wenn sie überhaupt lebensfähig sind, ganz besonders lebensfähig und können die eingreifendsten Operationen überstehen. [...] Der Laie vergißt, wenn er Gedichte für unnahbar hält, daß der Lyriker zwar mit ihm jene leichten Stimmungen, die er haben kann, teilen mag, daß aber ihre Formulierung in einem Gedicht ein Arbeitsvorgang ist und das Gedicht eben etwas zum Verweilen gebrachtes Flüchtiges ist, also etwas verhältnismäßig Massives, Materielles. Wer das Gedicht für unnahbar hält, kommt ihm nicht wirklich nahe. In der Anwendung von Kriterien liegt ein Hauptteil des Genusses. Zerpflücke eine Rose und jedes Blatt ist schön.[1]


Was ist Lyrik?

Das verrät dir dieses kleine Lied:

Marie Ebner-Eschenbach (1830-1916)

Ein kleines Lied

Ein Kleines Lied, wie geht's nur an,

dass man so lieb es haben kann?

Was liegt darin? erzähle!


Es liegt darin ein wenig Klang,

ein wenig Wohllaut und Gesang

und eine ganze Seele.


www.lyrikmond.de

Wie interpretiere ich ein Gedicht?

Eine Anleitung zur schrittweisen, vollständigen Gedichtinterpretation findest du hier.

Rebellion - ein Lyrikprojekt der Jahrgangsstufe 10

Heinrich Heine: Die schlesischen Weber (1844)
Georg Weerth: Das Hungerlied (1845)
Emma Döltz: Hoffnung (1910)
Mascha Kaléko: Heimweh, wonach? (ca. 1938)
Ingeborg Bachmann: Alle Tage (1952)
Ernst Jandl: My own song (1966)
Udo Jürgens: Das ehrenwerte Haus (1974)
Karat: Über sieben Brücken musst du gehen
Martina Sens: der schrei nach führung (2019)
Samira Schogofa: Das war‘s dann (aktuell)


Naturlyrik im Spiegel der Zeit

Naturlyrik. Aus: Weidemann/Weidemann: 75 Bildkarten für Coaching und Beratung. Beltz 2013

Im Schuljahr 21/22 beschäftigen sich Lernenden der Einführungsphase (EF) mit dem Thema Naturlyrik.

Wir werden uns mit Gedichten verschiedener Epochen beschäftigen, die im weitesten Sinne das Thema „Natur“ behandeln, dabei wollen wir herausfinden, warum ein Motiv über die Jahrhunderte hinweg aktuell geblieben ist, und wie es sich in dieser Zeit aber verändert hat.

Leitfragen unserer Arbeit werden sein:

- Was ist überhaupt Naturlyrik?

- Wie hat sich die Lyrik im Laufe der Zeit verändert? Unterschiede zwischen dem 17. Jh. und heute

- Wie finde ich die Emotionen des Schriftstellers im Gedicht wieder?

- Welche Folgen hat Lyrik für die heutige Zeit?

- Wie formuliert man eine Gedichtanalyse?


Aus den folgenden Gedichten gilt es, exemplarisch zwei - aus verschiedenen Zeiten - vergleichend zu interpretieren.

Andreas Gryphius: Einsamkeit (1663) - Barock

Andreas Gryphius: Einsamkeit

Johann Wolfgang v. Goethe: Über den Gipfeln ist Ruh’ (1780) - Klassik

J. W. v. Goethe: Über den Gipfeln ist Ruh'

Anette v. Droste- Hülshoff: Der Knabe im Moor (1844)

Anette v. Droste- Hülshoff: Der Knabe im Moor

Joseph v. Eichendorff: Mondnacht (1873) - Romantik

Joseph v. Eichendorff: Mondnacht

Christian Morgenstern: Novembertag (ça. 1900) - Jahrhundertwende

Christian Morgenstern: Novembertag

Georg Trakl: Sommersonate (1909-1912) - Expressionismus

Georg Trakl: Sommersonate

Ernst Jandl: Auf dem Land (1963) - Konkrete Poesie - Experimentelles

Ernst Jandl: Auf dem Land

Ulla Hahn: Schöne Landschaft (1985) - Moderne

Ulla Hahn: Schöne Landschaft

Jürgen Drews: Ein Bett im Kornfeld (1976) - Exkurs über Kitsch

Jürgen Drews: Ein Bett im Kornfeld


Politische Lyrik im Wandel der Zeit

Ausgehend von dem historischen Ereignis des Jahres 2020, 30 Jahre Wiedervereinigung, werden deutschsprachige, politische Gedichte und Songtexte unterschiedlicher Dekaden zusammengetragen und analysiert.

Tagesschau vom 9.11.1989: https://www.youtube.com

Tagesschau vom 3.10.1990: https://www.youtube.com


Politische Lyrik ist kommunikative Lyrik:

Was wird wann wie von wem wozu vorgetragen?
Inhalt/

Thema

historisch-sozialer Zusammenhang, auf den sich das Gedicht bezieht inhaltlich,

sprachlich,

formal

Bedingungen der Autorin/des Autors Intention

(Absicht)


Aufgabe: Erprobe das abgebildete Analyseschema an einem der von dir ausgewählten Gedichte.

Mascha Kaléko: Der kleine Unterschied

Mascha Kaléko: Der kleine Unterschied

Das Gedicht "Der kleine Unterschied" von Mascha Kaléko aus dem Jahr 1940 behandelt das Sprach- und damit Existenzproblem deutscher Emigranten im englischsprachigen Exil. Als Folge des nationalsozialistischen Regimes in Deutschland (1933 - 1945) mussten auch jüdische Dichterinnen wie Mascha Kaléko das Land verlassen und versuchten, im Exil eine neue Existenz aufzubauen. Auch wenn deutsche Wörter aufgrund ihrer lautlichen Ähnlichkeit vordergründig leicht ins Englische übersetzbar scheinen, so offenbart eine genauere Betrachtung von Wörtern wie "Land, Heimat, Gedicht" die fehlende emotionale Verbindung zum übersetzen Wort. Lyrik ist nicht übersetzbar, könnte man als Kerngedanken dieses Gedichtes annehmen. Damit wäre den geflüchteten Dichterinnen und Dichtern ihre Kunst im Exil nicht mehr möglich. Die politische Aussage dieses Gedichtes wäre, dass eine Emigration die Künstler*innen zwar körperlich rettet, nicht aber geistig.

Paul Celan: Todesfuge

Paul Celan: Todesfuge

Die "Todesfuge" von Paul Celan aus letzten Kriegsjahren des Zweiten Weltkriegs beschreibt den Alltag der Menschen in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten. Die "schwarze Milch", die die Lagerinsassen täglich trinken, ist zum Symbol für die menschenverachtende Tötungs- und Verbrennungsmaschinerie der Deutschen geworden: Die Milch als lebensspendender Saft, der den Menschen in den Lagern vorenthalten wurde, ist schwarz von der Asche Krematorien, in denen die Leichen der Verhungerten und Vergasten verbrannt wurden. Celan beschrieb mit diesem Gedicht das Schicksal seiner eigenen jüdischen Familie wie auch das von Millionen weiterer Menschen, die im Holocaust getötet worden sind. Die politische Intention dieses Gedichtes sind Gedenken, Mahnung, Warnung.

Nelly Sachs: Gebete für den toten Bräutigam

Nelly Sachs: Gebete für den toten Bräutigam

Nelly Sachs schreibt ein Gedicht über einen, vermutlich von den Nazis ermordeten Bräutigam. Es wird deutlich, dass das lyrische Ich um ihn trauert und versucht, sich den Schmerz aus der Seele zu schreiben. Auf politischer Ebene beschreibt das Gedicht das Leiden der Juden die zurzeit des Nationalsozialismus'.

Reiner Kunze: Die Antenne

Reiner Kunze: Die Antenne
In dem Gedicht "Die Antenne" von Reiner Kunze steht die Antenne als Metapher für einen Menschen, welcher seine Gedanken nicht frei ausleben kann, da dieses von einer Regierung oder auch einer Diktatur abgelehnt wird und dieser Mensch somit in seinem Denken und Handeln eingeschränkt wird.

Udo Jürgens: Griechischer Wein

Udo Jürgens: Griechischer Wein

Das Lied beschreibt die Sehnsucht griechischer Gastarbeiter nach ihrer Heimat im Deutschland der frühen Siebziger Jahre. Der Schlager-Charakter des Liedes täuscht darüber hinweg, dass es sich hierbei um einen sozial-kritischen Text handelt.

Karat: Über sieben Brücken musst du gehn

Karat: Über sieben Brücken musst du gehen:

Das Lied thematisiert die Überbrückung schlechter Phasen im Leben eines jenen Menschen. Die sieben Brücken oder die sieben dunklen Jahre stehen für die schlechten Zeiten, die Jeder von uns überwinden muss. Gleichfalls stehen sie in verschlüsselter Form für das Leben der Menschen in der DDR der Siebziger Jahre.

Marius Müller-Westernhagen: Freiheit

Marius Müller-Westernhagen: Freiheit

Obwohl bereits 1987 zum ersten Mal veröffentlicht, wurde der Song zu einem Symbol des Mauerfalls und Untergangs der DDR. Das lyrische Ich entlarvt die wirtschaftliche und politische Freiheit nach "gemacht[en] Verträgen" als "naiv" und propagiert an dessen Stelle eine persönliche, fast anarchische Freiheit in der Metapher des Feierns.

Eva Strasser: Die Welt steht still

Eva Strasser: Die Welt steht still

Eva Strasser beschreibt in ihrem Tagebuch-Gedicht die Auswirkungen des ersten Corona-Lockdowns auf unsere Welt. Die Covid-19-Pandemie hatte drastische Änderungen auf unser normales Leben: Die Straßen sind leer, ruhig und düster. Menschen meiden die Außenwelt und bleiben zu Hause um sich und andere zu schützen. Eine depressive und bedrückte Atmosphäre herrscht über der Welt. Nicht nur wir Menschen werden von dem Virus beeinflusst, auch Tiere und Pflanzen leiden unter ihm. Das Corona- Virus bringt drastische Veränderungen mit sich.

Lyrik im Expressionismus:

Gottfried Benn: Ophelia

Gottfried Benn: Ophelia

Gottfried Benn (1886 - 1956) nimmt in seinem Gedicht Ophelia Bezug auf die literarische Figur der Ophelia von William Shakespeare. Ophelia ertrinkt, nachdem ihre Liebesbeziehung zu Prinz Hamlet gescheitert ist.

Benn verarbeitet das Motiv des tragischen Todes aufgrund eines gebrochenen Herzens - vermutet wird Selbstmord - auf seine ganz eigene Weise: morbide, zynisch, expressionistisch. Man spricht in der Literaturgeschichte in Bezug auf Benn auch von seinem "medizynischen Blick".



„Der Luftschiffer" von Karoline von Günderode

erstellt von PhONSG

Reiselyrik vom Barock zum Gegenwart: Unterwegs sein

Was ist eigentlich ein Gedicht, was macht ein Gedicht aus? Bertolt Brecht vergleicht ein Gedicht mit einer Rose und beschreibt es als "etwas zum Verweilen gebrachtes Flüchtiges ..., also etwas verhältnismäßig Massives, Materielles" (In: Über das Zerpflücken von Gedichten (ca. 1935).[1]

Er fordert: "Zerpflücke eine Rose und jedes Blatt ist schön" und weiter: "In der Anwendung von Kriterien liegt ein Hauptteil des Genusses." (s.o.)

Wir probieren es aus!

"Zerpflücke eine Rose und jedes Blatt ist schön!" - J. Ringelnatz´ “Die Ameisen“

In Hamburg lebten zwei Ameisen,

Die wollten nach Australien reisen. Bei Altona auf der Chaussee Da taten ihnen die Beine weh, Und da verzichteten sie weise Denn auf den letzten Teil der Reise.

(So will man oft und kann doch nicht

Und leistet dann recht gern Verzicht.)
....


In Hamburg lebten zwei Ameisen,

Die wollten nach Australien reisen.

Bei Altona auf der Chaussee Da taten ihnen die Beine weh,

Und da verzichteten sie weise

Denn auf den letzten Teil der Reise.

So will man oft und kann doch nicht

Und leistet dann recht gern Verzicht.


In: https://www.projekt-gutenberg.org/ringelnz/gedichte/chap005.html

1.) Erster Eindruck:

Zwei Ameisen auf Abenteuerreise

Wirkung: groß, aufregend, anstrengend, fröhlich, unernst, ironisch/übertrieben, lustig ; mit ernstem/traurigem Fazit am Ende -

Erste Aussageideen:

  • • schlicht aufgrund der schlichten Form; Deutungshypothese: Vermeintlich Einfaches entpuppt sich später als durchaus schwierig.
  • • verwirrend: Ameisen auf Weltreise - Was hat das mit meinem Leben zu tun?
  • • Überheblich: größenwahnsinnige Ameisen - Übertragung auf den Menschen: Sind wir eigentlich auch nur Ameisen?
2.) Inhalt:

Zwei Ameisen wollen von Hamburg aus nach Australien reisen, geben aber schon in Altona erschöpft auf. In der Folge verzichten sie auf „den Rest der Reise“. Es wird ein Fazit formuliert: Man verzichtet gerne auf Dinge, die man nicht realisieren konnte.

3.) Analyse:
3a.) inhaltlich:

V1.: Funktion: Vorstellung der Szenerie:

  • • zwei Ameisen leben in Hamburg: klein, fleißig, Kolonie-Tiere in Hamburg als Hafen- /Handels-Stadt; Startpunkt vieler Auswanderer
  • • Wirkung: ironisch, übertrieben, abenteuerlich

Usw.

3b.) sprachlich:
  • • Hyperbel in V. 1/2: Ameisen auf Weltreise
  • • Antithetik: klein/groß: Ameise/Stadt; Australien/Altona, Wollen/Können

Alliterationen:

Funktionen:

auf D - Darstellung der einzelnen Schritte

auf A - Darstellung/Verknüpfung  der Figuren und Orte

  • • Verbindung mit der Antithetik

Wirkungen: schlicht/einprägsam / lustig/bedacht

Usw.

Metrum:


https://unterrichten.zum.de/wiki/Reise-Lyrik

https://unterrichten.zum.de/wiki/Lyrik_des_Barock

Unterwegs sein im Barock

Barthel (Bartholomäus) Bruyn - Vanitas



Exkurs: Wie gut kann ChatGPT Gedichte interpretieren?

ChatGPT ist ein Computerprogramm, das mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) menschliche Sprache verarbeitet. Es kann Texte untersuchen, Texte produzieren, sie in andere Sprachen übersetzen und auf Fragen antworten. Das geschieht in Form eines Chats. ChatGPT wurde von der US-amerikanischen Firma OpenAI entwickelt und basiert auf Daten bis 2021. Es wurde trainiert, um Texte in verschiedenen Sprachen zu verstehen und darauf zu antworten, einschließlich Deutsch. Das geschieht, indem das Programm die gespeicherten Daten nach geeigneten Informationen durchsucht und daraus Sätze macht, die mit hoher Wahrscheinlichkeit passen könnten.

Deshalb unsere Frage: Wie gut kann ChatGPT deutsche Gedichte interpretieren?

Arbeitsaufträge:


Achtung
Bearbeite mindestens die Aufgaben 1 - 3; du hast dafür 15 Minuten Zeit.


Aufgabe 1
Führe unterschiedliche Prompts mit einem von dir bereits interpretierten Gedicht aus


Aufgabe 2

Steuere deinen Chat mit ChatGPT, z.B.

  • indem du für einen Prompt verschiedene Formulierungen verwendest,
  • indem du mehrere Prompts hintereinander ausführst, so dass deine Anfragen präzisiert werden,
  • indem du ChatGPT bei Fehlern korrigierst.


Aufgabe 3
Vergleiche die Ergebnisse mit deinen eigenen Interpretationen und notiere deine Beobachtungen auf deinem Arbeitsblatt.


Aufgabe 4
Bewerte die Qualität von ChatGPT für Gedichtinterpretationen: Wie gut kann es Gedichte interpretieren? Notiere auf deinem Arbeitsblatt.



  1. 1,0 1,1 Bertolt Brecht: Über Lyrik. Frankfurt/M. 1977, S. 123