Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Lyrik im thematischen Längsschnitt/Paul Celan: Todesfuge

Aus ZUM Projektwiki

Todesfuge (1944/45)

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends

wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts

wir trinken und trinken

wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt

der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland

dein goldenes Haar Margarete

er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne

er pfeift seine Rüden herbei

er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde

er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends

wir trinken und trinken

Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt

der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland

dein goldenes Haar Margarete

Dein aschenes Haar Sulamith

wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt

er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau

stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr anderen spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends

wir trinken und trinken

ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete

dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen

Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus  Deutschland

er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft

dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts

wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland

wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken

der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau

er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau

ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete

er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft

er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus

Deutschland  

dein goldenes Haar Margarete

dein aschenes Haar Sulamith.

aus: Paul Celan: Der Sand aus den Urnen (1947)

Inhalt

Das Gedicht "Todesfuge" vermittelt sehr viel Leid. Es geht um Juden in einem Arbeitslager/KZ, die schuften und danach sterben müssen. Durch viele Gegensätze wird der Kontrast zwischen den Juden und den Nazis veranschaulicht. Während die Juden leiden und um ihr Leben bangen, schreibt ein Leiter des Lagers an seine Liebe in Deutschland. Der Dichter vermittelt die Grausamkeiten jener Taten.

Das lyrische Wir beschreibt die Lebenssituation der Menschen in einem Arbeits- und Vernichtungslager. Sie trinken schwarze Milch und werden von Aufsehern überwacht. Die Aufseher geben ihnen verschiedene Aufgaben, z.B. Gräber auszuheben und zum Tanz aufzuspielen. Einer der Aufseher ist Deutscher und schreibt Briefe nach Deutschland an seine Geliebte namens Margarete.

Es geht um die „schwarze Milch“, die das lyrische Wir rund um die Uhr trinkt (V.1-3). Das lyrische Wir buddelt ein Grab (V.4), während ein Aufseher Briefe schreibt (V.5-7). Der Mann spielt mit den Schlangen (V.5) und lässt die Juden in den Himmel aufsteigen (V. 37/28). Das lyrische Wir bekommt im Laufe des Gedichts immer mehr Aufgaben (V.11/20) und wird von dem Aufseher mit Waffen bedroht (V.21). Margarete und Sulamith werden verglichen (V. 18/19/26/27/40/41).


Der Titel kann in zwei Wörter gegliedert werden: „Todes“, also das Sterben und „Fuge“, was eine musikalische Form der Mehrstimmigkeit ist, die streng einzuhalten ist. Der Titel spielt also auf die Härte des Lagers an und auf das Fugen-Prinzip des Gedichts. [ChFNSG]

Sprache

Die Chiffre „schwarze Milch“ (V.2), mit der das Gedicht beginnt, steht für den Ascheregen durch die Krematorien in den KZs, der sich über alles legt. Die Anapher von „wir“ in den Zeilen (V.3-5) verdeutlicht die Ausdrücklichkeit der Person, wodurch alle Aufmerksamkeit auf das lyrische Wir gelenkt wird, sodass man sich auf die „Art“ Ausgestoßenen konzentriert. Die Verse werden rhythmisiert und das ewige Trinken der schwarzen Milch, das sich jeden Tag wiederholt, wird durch die Wiederholung des „wir“ hervorgehoben. „Mittags…abends…morgens“ (V.2f) ist eine Aufzählung, die verdeutlicht, dass es keinen Ausweg gibt und der Tod rund um die Uhr erkennbar ist. Die Chiffre und der Euphemismus „Grab in den Lüften“ (V.5) ist eine Beschönigung des Verbrennens in den Krematorien. Es wird auf den Aufstieg in den Himmel hingedeutet. Der Gegensatz „ein Mann wohnt in einem Haus“ (V.6) deutet auf die Wohnsituation der Juden hin, die in engen und dreckigen Baracken wohnen. Das Symbol „Schlangen“ (V.6) steht für die Hinterlistigkeit und Bosheit der Nazis. Die Metapher „spielt mit den Schlangen“ (V.6) steht für den Pfad der Schlange begeben. Der Aufseher hat sich dem Bösen (Nazis) zugewendet. Das Symbol „goldenes Haar“ (V.8) steht für die Schönheit, den Reichtum, die blonden Haare der Margarete. Die Chiffre „blitzen die Sterne“ (V. 9) stammt aus einem Lied der Oper Tosca (1900). Es war der Titel der letzten großen Arie des gefolterten Cavaradossi, bevor der inszenierten Scheinhinrichtung, die für großes Aufsehen gesorgt hat. Die Anapher „er“ (V.9-12) deutet auf den großen Unterschied zwischen lyrischen Er und lyrischem Wir hin. Der Parallelismus (V.10/11) sorgt für die Gleichstellung der Juden mit den Hunden, wodurch die Unmenschlichkeit der Situation konkretisiert wird. Die Metapher „pfeift seine Juden hervor“ (V.11) beschreibt die Entwendung der Menschenwürde, da sie behandelt werden wie Hunde. Das Symbol „Grab in der Erde“ (V.11) nimmt Bezug auf das Chiffre (V.5), sie werden begraben in einem von ihnen selbst geschaufelten Grab. Durch die Anapher „dein“ und den Parallelismus (V.18/19) werden Sulamith und Margarete verglichen und der Unterschied durch die Gleichheit der Verse, aber der sich stark unterscheidenden Frauen, betont. Das Symbol „aschenes Haar Sulamith“(V.19) steht für eine Jüdin mit verbranntem Haar. Durch die Metapher „seine Augen sind blau“ (V. 22) wird der Aufseher als kaltblütig, naiv und als Deutscher charakterisiert. Die Metonymie „Eisen im Gurt“ (V.22) steht für die Pistole. Mit den Pistolen werden Juden erschossen und das lyrische Wir bedroht. Die Metonymie „als Rauch in die Luft“ (V.30) beschreibt das Verbrennen der Juden. Das Symbol „bleierner Kugel“ (V.36) steht für die Pistolenkugel, mit der das lyrische Du getroffen wird. Mit der Antithese „schenkt uns ein Grab“ (V.38) wird der Tod als Geschenk/Erlösung dargestellt. [ChFNSG]

Form

Die verschiedenen Blöcke des Gedichts werden wiederholt, wodurch die Spannung fugenartig aufgebaut wird. Die, überall zu findenden, Enjambements führen auch zu jenem Fugen-Prinzip, das auch im Titel angesprochen wird. Kein einziger Vers ist mit einem Satzzeichen abgetrennt mit Ausnahme des letzten Verses, der mit einem Punkt das Ende darstellt. Nicht nur das Ende des Gedichts, sondern auch auf ein Ende des lyrischen Ichs hindeutet. [ChFNSG]