Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Dramenanalysen/Iphigenie auf Tauris
Was bisher geschah….
I: Akt: Exposition - Einführung in Ort, Zeit, Handlung
Iphigenie hat einen Heiratsantrag von Thoas, König von Tauris, erhalten.
Sie will aber nicht heiraten, weil
- sie ihr Leben der Götting Diana gewidmet,
- sie sich sorgt, möglicherweise den Tantalidenfluch in die nächste Generation weiterzugeben.
Thoas droht, bei Ablehnung die Blutopfer wieder einzuführen.
Es entsteht der dramatische Konflikt: Wie soll sich Iphigenie verhalten?
Wie wird es weitergehen? …
II. Akt: Zuspitzung des Konfliktes; Spannung steigt
Orest - Iphigenies Bruder - und Pylades - sein Freund - tauchen auf.
Beide sind in unterschiedlicher Verfassung: Orest erwartet seinen Tod als Erfüllung des Fluches, Pylades gibt sich kämpferisch, am Leben bleiben zu können.
Orest ist der Anführer, Pylades sein Begleiter, beide scheinen sich jedoch durchaus nahe zu stehen.
Wie sie dahin gekommen sind, ist aktuell noch nicht ganz klar: Suche, Zufall, Schicksal?
Ein Vorschlag [ElDeNSG]:
1.Auftritt
Orest und Pylades werden von Apollen nach Tauris geschickt, um nach Hilfe von seiner „vielgeliebten Schwester“(Diana) zu suchen, nachdem Orest „[…] Apollen bat, das grässliche Geleit der Rachegeister von der Seite [ihm] abzunehmen“.
Beide sind in unterschiedlicher Verfassung. Während Orest eher pessimistisch gestimmt ist und fürchtet, dass sein Tod schon nahe stehe, sieht Pylades die Situation mit einem optimistischen Blick und ist noch nicht bereit aufzugeben, sondern hofft darauf, dass er und Orest gerettet werden können. So versucht er Orest aufzuheitern und ihm Mut zu machen. Am Ende des ersten Auftrittes teilt Orest seine Sorgen mit. So erklärt er, habe er die Angst, sie würden vom König geopfert werden und, dass „ein Weib“ sie nicht retten könne. Woraufhin ihn Pylades erneut beruhigt, indem er behauptet, dass ein Mann an die Grausamkeit gewöhnt sei und aus Gewohnheit hart und kalt werden könne , während eine Frau fest bei ihrem Entschluss bliebe. Der Auftritt endet, indem Orest geht und Pylades mit Iphigenie allein lässt.
2. Auftritt (Zusammenfassung)
•Iphigenie scheint direkt zu Beginn zu bemerken, dass Pylades eher ein Grieche als ein Skythen ist
•Pylades versucht sich bei ihr einzuschleimen
•Iphigenie verschweigt ihre Herkunft , aber auch Pylades lügt über seine Familiensituation und seinen, und Orests Namen—> Cephalus und Laodamas
• Pylades berichtet vom Fall Trojas und von den Gefallenen Kriegern(Palamedes, Ajax Telamons)
•Er erzählt von Klytämnestras und Ägisthens Mord an ihrem Vater(Agamemnon)
•Er verdächtigt, anhand ihrer Reaktion, sie habe in irgendeiner Weise eine Verbindung zu ihm
•Er erklärt, Ägisth habe ihn erschlagen, so habe Klytämnestra sich an dem Mord von Iphigenie rächen wollen
•Daraufhin verabschiedet sich Iphigenie und lässt Pylades allein
•Pylades Verdacht, sie habe den König gekannt, verstärkt sich.
Was ist Verantwortung, was ist Schuld? Menschenbilder und Moralvorstellungen
Schuld:
Der Begriff Schuld ist ein juristischer Begriff, der eine Gesetzesmissachtung bedeutet. Schul kann durch eigene oder Gruppenhandlung ausgelöst werden. Man kann sich also allein und in einer Gruppe schuldig machen. Schuld ist entsprechend oft mit etwas schlechtem verbunden, kann jedoch auch metaphorisch verwendet werden, z.B. im Sinne von Dankbarkeit (jmd. etwas Schulden).
Orest brachte seine eigene Mutter um und trägt somit die Schuld dafür, dass sein Familienfluch weitergegeben wird. Hätte er seine Mutter nicht umgebracht, so wäre er schuldlos,denn er war der entscheidende Faktor dafür, dass seine Mutter nun tot ist.
Verantwortung:
Verantwortung ist ein Begriff der Ethik. Es gibt zwei Arten von Verantwortung, ob man diese übernimmt ist meistens freiwillig.Im ersten Fall übernimmt man Verantwortung, indem man auf Sachen aufpasst oder sie beschützt.
Im zweiten Fall übernimmt man Verantwortung nachdem man etwas getan hat und dafür geradesteht und es wieder gut macht. Wenn man Verantwortung übernimmt oder auch nicht gibt es immer Konsequenzen sowohl negative als auch positive.
Negative Konsequenzen schränken einen in Zukunft ein und positive bringen einen weiter.
Iphigenie übernimmt Verantwortung
- für den Tantalidenfluch, indem sie auf Tauris den Göttern dient, sich der Heirat widersetzt (Nachkommen)
- für sich, indem sie Thoas nicht heiraten will
- für die Wiedereinführung des Blutopfers, das aktuell ansteht für die beiden Fremden.
Orest:
Wenn sie dem Menschen frohe Tat bescheren,
Daß er ein Unheil von den Seinen wendet,
Daß er sein Reich vermehrt, die Grenzen sichert
Und alte Feinde fallen oder fliehn:
Dann mag er danken! denn ihm hat ein Gott
Des Lebens erste, letzte Lust gegönnt.
Mich haben sie zum Schlächter auserkoren,
Zum Mörder meiner doch verehrten Mutter,
Und, eine Schandtat schändlich rächend, mich
Durch ihren Wink zugrund gerichtet. Glaube,
Sie haben es auf Tantals Haus gerichtet,
Und ich, der Letzte, soll nicht schuldlos, soll
Nicht ehrenvoll vergehn.
Pylades:
Die Götter rächen
Der Väter Missetat nicht an dem Sohn;
Ein jeglicher, gut oder böse, nimmt
Sich seinen Lohn mit seiner Tat hinweg.
Es erbt der Eltern Segen, nicht ihr Fluch.
Determinismus:
Orest erwartet seinen Tod als Erfüllung des Fluchs.
Pylades widerspricht einer „Erbschuld“ und sieht seine Bestimmung darin, das Orakel zu erfüllen und „die Schwester Diana“ wieder zurückzubringen.
III.1:
Warum enthüllt Orest Iphigenie seinen Namen?
V. 1082: Ich bin Orest.
Er will Iphigenie nicht länger belügen, weil sie eine „große Seele“ ist (V. 1076). Große Seele lässt sich hier verstehen als „Gütigkeit“, sie zeigt sich ihm gegenüber als empathisch und bewertet sein Schicksal als unverdient (V.1070).
Er appelliert damit auch an Iphigenie, ihren Namen zu nennen.
Iphigenie erkennt in Orest ihre mögliche Rettung von der Insel und deutet sein Auftreten als göttliches Zeichen einer positiven Erfüllung ihrer Sehnsucht und als Belohnung für ihre guten Taten (V. 1094ff.) Sie gibt sich ihm zu erkennen (V.1172).
Orestes Wahnsinn:
Wie löst Iphigenie ihren Konflikt in Akt 4/5, Inhalte zusammentragen zum 14.11.23
Ein Vorschlag [TibScNSG]:
Im vierten Akt kommt Arkas, der Bote von Thoas zu Iphigenie. Arkas überbringt die Botschaft für den König: „Beschleunige das Opfer, Priesterin!“ Der König fordert nämlich das Opfer, Iphigenies Bruder, Orest und sein Freund, Pylades (V.1421/22). Danach erzählt sie von den Opfern und wer sie sind, erwähnt jedoch noch nicht, dass einer ihr Bruder ist. Sie sagt, dass sie Orest befreien will von den Furien und er noch nicht als Opfer dargelegt werden kann, Arkas jedoch möchte nicht das Iphigenie “auf eigene Faust“ handelt. Sie soll nicht ohne die Erlaubnis des Königs handeln (V.1443). Arkas meint, dass es Iphigenies Schuld ist, alles liegt in ihrer Hand, nicht in der Hand der Götter: „Ich sage dir, es liegt in deiner Hand des Königs aufgebrachten Sinn allein bereitet diesen Fremden bittern Tod.“(V.1465-1467).
In V.1519 entwickelt Iphigenie Empathie gegenüber den Gefangenen und will versuchen sie zu retten, dies ist ihr einziges Ziel, da sie sich nun auch verantwortlich fühlt, für das Menschenopfer von Thoas.
Danach trifft Iphigenie Pylades wieder und er überbringt die gute Nachricht, dass ihr Bruder geheilt ist und beide über das Boot am Ufer fliehen wollen (V.1532f). Sie erzählt ihm von ihrem Treffen mit Arkas, dem königlichen Boten, dass sie nun auf die Antwort Thoas wartet. Pylades hofft, dass Thoas nicht Orest treffen will und fordert von Iphigenie sie zu schützen und zu lügen: „Und fordert er, den Fremden Mann zu sehn, der von dem Wahnsinn schwer belastet ist, so Lehn es ab, als hieltest du uns beide im Tempel wohlverwahrt.“ (V.1599ff). Er hofft darauf das Apollo gut zu ihnen ist und sie fliehen lässt und sie unterstützt, da Orest befreit ist von seinem Wahnsinn (V.1607f).
„Allein mein eigen Herz ist nicht befriedigt.“, sagt Iphigenie in V.1648, ihr selber gefällt das nicht und sie hat Angst, dass ihr Bruder getötet werden könnte. Pylades fragt sich, ob es Überredung braucht, um Iphigenie auf ihre Seite zu bekommen, er versteht es nicht. Sie müsste sich auf Orests und seine Seite stellen, da Thoas sie töten will und nur sie sie retten kann. (V.1666). So einfach ist es für Iphigenie jedoch nicht, da sie Thoas als zweiten Vater ansieht.
Zu sich selber sagt Iphigenie am Ende des 4.Aktes: „Ich muss ihm (Pylades) folgen: denn die Meinigen Seh ich in dringender Gefahr.“(V.1689f).
Zusammenfassend kann man also für den 4.Akt sagen, dass Iphigenie versuchen sollte einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen herbeizuführen, am Ende sollte ein gewaltfreier Ausgang zwischen Thoas und Orest möglich sein und dafür muss sie sorgen.
Im 5. Akt geht Arkas zu Thoas und berichtet ihm von den Flüchtigen, dessen Boot noch am Ufer der Insel stehen soll. Daraufhin entsendet Thoas sofort Truppen, um dieses Schiff zu finden, sodass sie nicht mehr flüchten können (V.1772ff).
Im dritten Auftritt des 5. Aktes treffen Thoas und Iphigenie erneut aufeinander, diese sollte nun besonnen reagieren und Eskalationen vermeiden, obwohl es schwierig wird. Thoas versteht nicht warum Iphigenie das Opfer weiter aufschiebt „ Du schiebst das Opfer auf; sag an, warum?“(V.1805)
In V.1837ff „Es scheinen die Gefangenen dir sehr nah am Herzen: Denn vor Anteil und Bewegung, vergissest du der Klugheit erstes Wort, dass man den Mächtigen nicht reizen soll.“ Hier merkt er, dass Orest und Pylades, Iphigenie sehr nahe stehen und ist eher gereizt von ihr, worauf er sie hinweist, da man den „Mächtigen“ also hier König Thoas nicht reizen sollte.
Man merkt auf Thoas Frage hin, wer die Fremden sind, zögert Iphigenie vorerst und lügt „Sie sind- sie scheinen- für Griechen halte ich sie.“ (V.1889) Hier lügt sie, denn sie weiß wer die beiden sind und will sie mit ihrer Lüge schützen.
In V. 1924 verrät Iphigenie sich jedoch und erklärt Thoas, dass es ihr Bruder und ein Freund ist, die er für Fremde hält. Um die beiden zu schützen und ihr Wohl zu schützen bietet Iphigenie das Selbstopfer von sich selbst (V.1944) , da sie sich letztendlich verantwortlich fühlt, dass es überhaupt wieder Menschenopfer gibt. Sie möchte eine friedliche Lösung erreichen, ohne das Außenstehende sterben müssen, weiter führt sie aus, dass sie ihren Bruder nicht sterben sehen könne und dass sie die beiden „Geliebten“ dort übereilt hineinstürzte (V.1945ff).
„diese sind treu und wahr.“ (V. 1958f) stellt sie Orest und Pylades sich selbst gegenüber, sie möchte „An einer Klippeninsel traurig Ufer“(V. 1961) verbannt werden. Sie bittet Thoas ebenso freundlich den Geschwistern , wie auch der Schwester, zu begegnen und entlassen zu werden (V. 1964).
Thoas empfindet die Forderungen viel, für diese kurze Zeit, jedoch meint Iphigenie „Um Guts zu tun, braucht’s keiner Überlegung.“, dies bezweifelt Thoas, jedoch Iphigenie verstärkt ihr Argument „Der Zweifel ist’s der Gutes böse macht.“, er solle handeln, wie er es fühlt (V.1988ff).
Orest kommt bewaffnet zur Unterhaltung dazu und bittet Iphigenie ihm schnellstens zu folgen, da nicht mehr viel Zeit bleibt zu fliehen, da die Truppen das Schiff gleich finden werden (V.1995f). Iphigenie redet jedoch als Priesterin, dass beide diesen göttlichen Platz der Göttin Diana nicht durch Wut und Mord verwüsten sollten, sie will die Situation entschärfen und versucht eine gewisse Harmonie herzustellen (V2000ff). Sie will das Thoas in Orest einen guten sieht, ihren geliebten Bruder, ebenso soll Orest auch Thoas als Iphigenies „zweiten Vater“ ansehen, der sie aufgenommen hat auf der Insel (V.2004). Orest möchte friedlich zurückkehren und die Insel verlassen, steckt dafür auch sein Schwert weg, nachdem Iphigenie ihn darum bat (V.2009ff).
Nach den Besänftigungen von Iphigenie befiehlt Thoas, die Truppen zurückzuhalten: „Gebiete Stillstand meinem Volke!“, aber vorerst nur solange sie reden „Keiner beschädige den Feind, solange wir reden.“(V.2023f).
Iphigenie möchte nun die Verständigung zwischen Orest und Thoas anregen und möchte das Thoas ihrem Bruder zuhört, der erklärt und bezeugt, dass er ihr Bruder ist (V.2030ff).
Thoas jedoch will es noch nicht glauben und Iphigenie versucht es durch die Erklärung von Orests Narben, die er in der Kindheit, durch Unvorsichtigkeit der Familie, bekam (V.2087ff). Iphigenie bekräftigt Thoas: „Du hast nicht oft zu solcher edlen Tat Gelegenheit.“ (V.2148f).
Letzendlich gewährte Thoas das friedliche Verlassen der Insel, von den dreien. Iphigenie jedoch wird ihren „zweiten Vater“ nicht ohne Segen verlassen. Sie wünscht: „ Verbann uns nicht! Ein freundlich Gastrecht Walte von dir zu uns : So sind wir nicht auf ewig getrennt und abgeschieden.“ (V.2153). Thoas ist ihr so viel wert, wie ihr Vater es war, sie wünscht ihm Lohn für die Milde und die guten Taten, des Königs (V.2166f).
Die Tränen, die Iphigenie in V. 2171 erwähnt, zeigen, wie eng ihre Beziehung zu Thoas war und dass sie ihn vermissen wird. Er verabschiedet sich mit einem „Lebt wohl!“ in V. 2174 und beendet damit den fünften und letzten Akt.
Zusammenfassend kann man also sagen, dass sich im fünften Akt Iphigenies Konflikt gelöst hat und letzendlich alles gut ist zwischen ihr, Thoas, Pylades und Orest, alles hat sich zum Guten gewendet und sie können friedlich, ohne einen Kampf die Insel verlassen und wurden nicht verbannt.
Zur Funktion/Wirkung:
Das Publikum verlässt das Theater mit einem Gefühl der Erleichterung, dass der dramatische Konflikt ohne Blutvergießen gelöst werden konnte, vielleicht auch einem Anteil an Melancholie darüber, dass Iphigenie in einer engeren Beziehung zu Thoas stand, als ursprünglich dargestellt wurde.
Das Drama entspricht dem aristotelische 5-Akt-Schema in Bezug auf den Ablauf, aber nicht im engeren Sinne auf das Ende bezogen, denn es gibt weder ein tragisches noch ein komödiantisches Ende.
1.) Welchen Erziehungsauftrag erfüllt das Drama? Was kann das Publikum daraus lernen?
2.) Welchen Einfluss hat die Gestaltung der Iphigenie als „Symbol der Humanität“ auf die unblutige Lösung des Konfliktes?
Humanität: Menschenfreundlichkeit; Harmonie
- Iphigenie löst den Konflikt, ohne dass jemand zu schaden kommt. Lebt und fordert Gewaltfreiheit
- sie betrügt nicht die Taurer; sie bleibt durchgehend ehrlich allen gegenüber
- Herstellung der Harmonie zwischen Thoas und Orest; Versöhnungsversuch
- zeigt Wohlwollen und Mitgefühl, Perspektivenübernahme, z.B. gegenüber Thoas; damit lindert sie seine Aggressivität
- ist Vorbild an Menschlichkeit;
Übung zur Klausur: literarische Analyse
1.) Inhalt: V,3: Iphigenie und Thoas
Iphigenie:
Du forderst mich! Was bringt dich zu uns her?
Thoas:
Du schiebst das Opfer auf; sag an, warum?
Iphigenie:
Ich hab an Arkas alles klar erzählt.
Thoas:
Von dir möcht ich es weiter noch vernehmen.
Iphigenie:
Die Göttin gibt dir Frist zur Überlegung.
Thoas:
Sie scheint dir selbst gelegen, diese Frist.
Iphigenie:
Wenn dir das Herz zum grausamen Entschluß
Verhärtet ist, so solltest du nicht kommen!
Ein König, der Unmenschliches verlangt,
Findt Diener gnug, die gegen Gnad und Lohn
Den halben Fluch der Tat begierig fassen;
Doch seine Gegenwart bleibt unbefleckt.
Er sinnt den Tod in einer schweren Wolke,
Und seine Boten bringen flammendes
Verderben auf des Armen Haupt hinab;
Er aber schwebt durch seine Höhen ruhig,
Ein unerreichter Gott, im Sturme fort.
Thoas:
Die heil'ge Lippe tönt ein wildes Lied.
Iphigenie:
Nicht Priesterin! nur Agamemnons Tochter.
Der Unbekannten Wort verehrtest du,
Der Fürstin willst du rasch gebieten? Nein!
Von Jugend auf hab ich gelernt gehorchen,
Erst meinen Eltern und dann einer Gottheit,
Und folgsam fühlt ich immer meine Seele
Am schönsten frei; allein dem harten Worte,
Dem rauhen Ausspruch eines Mannes mich
Zu fügen, lernt ich weder dort noch hier.
Thoas:
Ein alt Gesetz, nicht ich, gebietet dir.
Iphigenie:
Wir fassen ein Gesetz begierig an,
Das unsrer Leidenschaft zur Waffe dient.
Ein andres spricht zu mir, ein älteres,
Mich dir zu widersetzen: das Gebot,
Dem jeder Fremde heilig ist.
Thoas:
Es scheinen die Gefangnen dir sehr nah
Am Herzen, denn vor Anteil und Bewegung
Vergissest du der Klugheit erstes Wort,
Daß man den Mächtigen nicht reizen soll.
Iphigenie:
Red oder schweig ich, immer kannst du wissen,
Was mir im Herzen ist und immer bleibt.
Löst die Erinnerung des gleichen Schicksals
Nicht ein verschloßnes Herz zum Mitleid auf?
Wie mehr denn meins! In ihnen seh ich mich.
Ich habe vorm Altare selbst gezittert,
Und feierlich umgab der frühe Tod
Die Knieende; das Messer zuckte schon,
Den lebenvollen Busen zu durchbohren;
Mein Innerstes entsetzte wirbelnd sich,
Mein Auge brach, und – ich fand mich gerettet.
Sind wir, was Götter gnädig uns gewährt,
Unglücklichen nicht zu erstatten schuldig?
Du weißt es, kennst mich, und du willst mich zwingen!
Thoas:
Gehorche deinem Dienste, nicht dem Herrn!
Iphigenie:
Laß ab! Beschönige nicht die Gewalt,
Die sich der Schwachheit eines Weibes freut.
Ich bin so frei geboren als ein Mann.
Stünd Agamemnons Sohn dir gegenüber
Und du verlangtest, was sich nicht gebührt,
So hat auch er ein Schwert und einen Arm,
Die Rechte seines Busens zu verteid'gen.
Ich habe nichts als Worte, und es ziemt
Dem edlen Mann, der Frauen Wort zu achten.
Thoas:
Ich acht es mehr als eines Bruders Schwert.
Iphigenie:
Das Los der Waffen wechselt hin und her:
Kein kluger Streiter hält den Feind gering.
Auch ohne Hülfe gegen Trutz und Härte
Hat die Natur den Schwachen nicht gelassen.
Sie gab zur List ihm Freude, lehrt' ihn Künste:
Bald weicht er aus, verspätet und umgeht.
Ja, der Gewaltige verdient, daß man sie übt.
Thoas:
Die Vorsicht stellt der List sich klug entgegen.
Iphigenie:
Und eine reine Seele braucht sie nicht.
Thoas:
Sprich unbehutsam nicht dein eigen Urteil!
Iphigenie:
O sähest du, wie meine Seele kämpft,
Ein bös Geschick, das sie ergreifen will,
Im ersten Anfall mutig abzutreiben!
So steh ich denn hier wehrlos gegen dich?
Die schöne Bitte, den anmut'gen Zweig,
In einer Frauen Hand gewaltiger
Als Schwert und Waffe, stößest du zurück:
Was bleibt mir nun, mein Innres zu verteid'gen?
Ruf ich die Göttin um ein Wunder an?
Ist keine Kraft in meiner Seele Tiefen?
Thoas:
Es scheint, der beiden Fremden Schicksal macht
Unmäßig dich besorgt. Wer sind sie, sprich,
Für die dein Geist gewaltig sich erhebt?
Iphigenie:
Sie sind – sie scheinen – für Griechen halt ich sie.
Thoas:
Landsleute sind es? und sie haben wohl
Der Rückkehr schönes Bild in dir erneut?
Iphigenie nach einigem Stillschweigen:
Hat denn zur unerhörten Tat der Mann
Allein das Recht? Drückt denn Unmögliches
Nur er an die gewalt'ge Heldenbrust?
Was nennt man groß? Was hebt die Seele schaudernd
Dem immer wiederholenden Erzähler,
Als was mit unwahrscheinlichem Erfolg
Der Mutigste begann? Der in der Nacht
Allein das Heer des Feindes überschleicht,
Wie unversehen eine Flamme wütend
Die Schlafenden, Erwachenden ergreift,
Zuletzt, gedrängt von den Ermunterten,
Auf Feindes Pferden doch mit Beute kehrt,
Wird der allein gepriesen? der allein,
Der, einen sichern Weg verachtend, kühn
Gebirg und Wälder durchzustreifen geht,
Daß er von Räubern eine Gegend säubre?
Ist uns nichts übrig? Muß ein zartes Weib
Sich ihres angebornen Rechts entäußern,
Wild gegen Wilde sein, wie Amazonen
Das Recht des Schwerts euch rauben und mit Blute
Die Unterdrückung rächen? Auf und ab
Steigt in der Brust ein kühnes Unternehmen:
Ich werde großem Vorwurf nicht entgehn
Noch schwerem Übel, wenn es mir mißlingt;
Allein euch leg ich's auf die Kniee! Wenn
Ihr wahrhaft seid, wie ihr gepriesen werdet,
So zeigt's durch euern Beistand und verherrlicht
Durch mich die Wahrheit! – Ja, vernimm, o König,
Es wird ein heimlicher Betrug geschmiedet:
Vergebens fragst du den Gefangnen nach;
Sie sind hinweg und suchen ihre Freunde,
Die mit dem Schiff am Ufer warten, auf.
Der ältste, den das Übel hier ergriffen
Und nun verlassen hat – es ist Orest,
Mein Bruder, und der andre sein Vertrauter,
Sein Jugendfreund, mit Namen Pylades.
Apoll schickt sie von Delphi diesem Ufer
Mit göttlichen Befehlen zu, das Bild
Dianens wegzurauben und zu ihm
Die Schwester hinzubringen, und dafür
Verspricht er dem von Furien Verfolgten,
Des Mutterblutes Schuldigen, Befreiung.
Uns beide hab ich nun, die Überbliebnen
Von Tantals Haus, in deine Hand gelegt:
Verdirb uns – wenn du darfst.
Thoas:
Du glaubst, es höre
Der rohe Skythe, der Barbar, die Stimme
Der Wahrheit und der Menschlichkeit, die Atreus,
Der Grieche, nicht vernahm?
Iphigenie:
Es hört sie jeder,
Geboren unter jedem Himmel, dem
Des Lebens Quelle durch den Busen rein
Und ungehindert fließt. – Was sinnst du mir,
O König, schweigend in der tiefen Seele?
Ist es Verderben? so töte mich zuerst!
Denn nun empfind ich, da uns keine Rettung
Mehr übrigbleibt, die gräßliche Gefahr,
Worein ich die Geliebten übereilt
Vorsätzlich stürzte. Weh! Ich werde sie
Gebunden vor mir sehn! Mit welchen Blicken
Kann ich von meinem Bruder Abschied nehmen,
Den ich ermorde? Nimmer kann ich ihm
Mehr in die vielgeliebten Augen schaun!
Thoas:
So haben die Betrüger künstlich dichtend
Der lang Verschloßnen, ihre Wünsche leicht
Und willig Glaubenden ein solch Gespinst
Ums Haupt geworfen!
Iphigenie:
Nein! o König, nein!
Ich könnte hintergangen werden; diese
Sind treu und wahr. Wirst du sie anders finden,
So laß sie fallen und verstoße mich,
Verbanne mich zur Strafe meiner Torheit
An einer Klippeninsel traurig Ufer.
Ist aber dieser Mann der lang erflehte
Geliebte Bruder, so entlaß uns, sei
Auch den Geschwistern wie der Schwester freundlich!
Mein Vater fiel durch seiner Frauen Schuld
Und sie durch ihren Sohn. Die letzte Hoffnung
Von Atreus' Stamme ruht auf ihm allein.
Laß mich mit reinem Herzen, reiner Hand
Hinübergehn und unser Haus entsühnen.
Du hältst mir Wort! – Wenn zu den Meinen je
Mir Rückkehr zubereitet wäre, schwurst
Du, mich zu lassen; und sie ist es nun.
Ein König sagt nicht, wie gemeine Menschen,
Verlegen zu, daß er den Bittenden
Auf einen Augenblick entferne; noch
Verspricht er auf den Fall, den er nicht hofft:
Dann fühlt er erst die Höhe seiner Würde,
Wenn er den Harrenden beglücken kann.
Thoas:
Unwillig, wie sich Feuer gegen Wasser
Im Kampfe wehrt und gischend seinen Feind
Zu tilgen sucht, so wehret sich der Zorn
In meinem Busen gegen deine Worte.
Iphigenie:
O laß die Gnade wie das heil'ge Licht
Der stillen Opferflamme mir, umkränzt
Von Lobgesang und Dank und Freude, lodern.
Thoas:
Wie oft besänftigte mich diese Stimme!
Iphigenie:
O reiche mir die Hand zum Friedenszeichen!
Thoas:
Du forderst viel in einer kurzen Zeit.
Iphigenie:
Um Guts zu tun, braucht's keiner Überlegung.
Thoas:
Sehr viel! denn auch dem Guten folgt das Übel.
Iphigenie:
Der Zweifel ist's, der Gutes böse macht.
Bedenke nicht; gewähre, wie du's fühlst.
Thoas‘ Strategien, Iphigenie zum Opfervollzug zu drängen:
- Drohungen:
z.B.: sein Macht und Einflussnahme („den Mächtigen nicht reizen“, V. 1839).
- seine Möglichkeit, ein Urteil über ihr Schicksal zu fällen („Sprich behutsam nicht dein eigen Urteil“, V. 1875)
Iphigenies Strategien, Thoas zu begegnen:
- Offenlegung seiner Strategie der Machtausübung („…du willst mich zwingen.“, V. 1844)
- Appell an seine Empathie, sein Verständnis für sie („0h sähest du, wie meine Seele kämpft“, V.1866)
- reflektiert die Beziehungsebene beider;
- argumentiert auf moralischer Ebene: z.B. „Beschönige nicht die Gewalt“, V. 1856).
Teilnehmende:
KiANSG | AnFrNSG | CeKoNSG | LaPeNSG | JoScNSG | MarWeNSG | |
---|---|---|---|---|---|---|
LiBNSG | CaGoNSG | AlKrNSG | AnPlNSG | TibScNSG | HeWiNSG | |
NeCiNSG | FeHoNSG | MaKrNSG | PaScNSG | VaSeNSG | ||
ElDeNSG | LeKlNSG | TiLoNSG | TiScNSG | FioStNSG |