Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Lyrik im thematischen Längsschnitt/Rebellion/Martina Sens: der schrei nach führung
der schrei nach führung
obwohl sich der mensch -
rein instinktiv -
gegen beengende zwänge wehrt
kann man doch immer wieder
das brüllen nach einem
verantwortungstragenden
und somit entlastenden
führer vernehmen
und führt er auch
durch grauenhafte schluchten
und verschlingende moore
so geht es sich doch leicht
mit freien schultern
und leerem kopf
aus: Martina Sens: POLLY Jahrbuch für politische Lyrik 2019/2020.[9]
Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-11-146.php#1651
1.) Der erste Eindruck
Wovon handelt das Gedicht? Welchen Eindruck macht es auf mich?
Das Gedicht beschreibt die Sehnsucht und die Suche, eines Menschens, der trotz seinen menschlichen und natürlichen Instinkten, den Wunsch befolgt, sich einem Führer anzuschließen, der ihm Orientierung bietet und den Weg weist, unabhängig von dessen Führungsstil. Er braucht einen Führer, der ihm die Verantwortung abnimmt. Dies wirkt auf uns traurig und naiv, weil er seinem Führer überall hinterherläuft ohne dessen Handeln zu hinterfragen, wie eine Instrumentalisierung eines Menschen.
2. ) Die Inhaltsangabe
Wie ist das Gedicht grundätzlich gestaltet?
Das Gedicht „der Schrei nach Führung“ von Martina Sels, beschreibt die Situation von einem Menschen, wie er trotz seinem Selbstschutz (verteidigt sich gegen Zwänge), sich doch ganz bewusst einem Führer anschließt. Dies macht er laut und deutlich durch sein Brüllen. Dabei stört es ihn scheinbar nicht, wie der Führer mit ihm umgeht und wie er ihn z.B. durch grauenhafte Schluchten führt. Denn während er geführt wird, hat er den Kopf und Schultern frei. Somit muss sich der Mensch keine Gedanken machen und kann ein Gefühl von Freiheit verspüren.
3a.) Inhaltsanalyse:
Wovon handelt das Gedicht konkret? Welche Erwartungen weckt die Überschrift?Welche Kernaussage/Botschaft ergibt sich aus dem Inhalt?
Das Gedicht gibt anfangs (V.1-4) einen ersten Einblick in die Gedankenwelt der Menschen. In darauf folgenden Handlung,(V.4) nimmt das Gedicht eine Wendung und nimmt auf den vorderen Vers Bezug und erläutert von dem Verlangen nach Führung was auch in der Überschrift besonders deutlich wird durch das Wort „Schrei“. Die beengenden Zwänge (V. 4), die vorab erwähnt wurden, sprechen dagegen, jedoch ist der Wunsch nach Entlastung (Vgl. V. 8) und dem leichtem Weg durchs Leben bedeutender. Das Verhalten des Menschen, wirkt unserer Meinung nach naiv und leichtgläubig. Auch eine "schlechte" Führung ist besser als keine Führung, denn der Mensch beschreibt (V.10), dass er nichts gegen den Führungsstil (V.11-12) des Führers zu bemängeln hat (V.9-10). Denn für ihn stellt es eine Entlastung (vgl. V. 8) dar „so geht es sich doch leicht“ (V.13). Er sieht dadurch Vorteile von „freien schultern und leerem kopf“ (V.14-15), welche er dadurch, dass er dem Führer nacheifert und folgt, bekommt. Durch die Führung wird selbstständiges Denken eingeschränkt (vgl. V. 15), was zu oberflächlichen Handeln und Gleichgültigkeit führt. Dies stellt eine gemütliche und bequeme Wirkung und Einstellung dar, fast schon so, als würde sich der Mensch auf das Handeln des Führers ausruhen und leiten lassen. Das Gedicht von 2019 repräsentiert die Überlastung der Menschen in der heutigen Gesellschaft und somit den Wunsch nach einem vorgegebenen Weg (Führung).
3b.) Sprachanalyse:
Welche sprachlichen Merkmale kennzeichnen das Gedicht? Welche sprachlichen Mittel wurden verwendet? Wie ist das Gedicht syntaktisch gestaltet? Welche anderen rhetorischen Stilmittel erkenne ich?
Das Gedicht betont mit dem Wort „Führung“ (V.1,9,10 ) das Hauptthema des Gedichts, wie auch der Titel schon verrät. Zudem rückt das Schlüsselwort „Schrei“ (V. 1) in den Vordergrund. Dabei erzeugen „schrei“ (V.1) und „brüllen“ (V.6) eine laute, dringende Atmosphäre, was deren Wichtigkeit betont.
Zusätzlich erzeugen die Metaphern „grauenhafte Schluchten“ (V.11) und verschlingende Moore“ (V.12) eine düstere Umgebung. Die Schlüsselwörter „verantwortungstragenden“ (V.7) und „entlastenden führer“ (V.8) vermitteln das Bedürfnis des Menschens sich einem leitenden Führer anzuschließen.
Die drei Verben: „wehrt“ (V.4) , „vernehmen“ (V.9) ,und „führt“ (V.10) sind jeweils im Präsens. Dabei verdeutlicht das Verb „wehren“ einen anscheinenden Widerstand.
„grauenhafte schluchten“ (V.11) und „verschlingende moore“ (V.12) werden verbildlicht und könnten die Schwierigkeiten des Alltags/Lebens beschreiben, welche „der mensch“ (V. 2), durch den Führer gezwungen ist, zu überwinden.
Das Adjektiv „rein instinktiv“ (V.3) unterstreicht die ursprüngliche Natürlichkeit des Menschens. Die Adjektive und Metaphern „freie Schultern“ (V.14) und „leerer Kopf“ (V.15) symbolisieren Leichtigkeit und die positiven Aspekte von dem Anschließen eines Führers.
Der Zeilenstil des Gedichtes umfasst mehrere Enjambements (Zeilensprünge), diese haben aber eine aussagekräftige und starke Wirkung, da sie die Dringlichkeit des „schreis nach Führung“ ausdrücken. Das gesamte Gedichte besteht nur aus einem einzigem Satz. Das Versende wird übersprungen und wird in den folgenenden Versen fortgesetzt. Man liest das Gedicht ohne Pause in einem durch.
Durch die Entscheidung der Autorin, das komplette Gedicht kleinzuschreiben und somit die Rechtschreibung auszulassen, entsteht ein Gleichgewicht aller Wörter. Dies könnte aufgrund des Inhalts und der Aussage des Gedichtes entschieden worden sein, schließlich übernimmt der Führer, den Mensch und somit ist ihr Handeln und die Wege die sie gemeinsam gehen, gleich. Gleich (klein), wie alle Wörter auch.
3c.) Formanalyse:
Das Gedicht besteht aus 15 Versen, die einen einzigen Satz bilden und ohne Pausen durchgelesen werden. Aufgrund dessen gibt es keine Strophen und ist reimlos. Somit ist kein metrisches Schema oder Reimschema vorhanden. Durch das auslassen der Reime von der Autorin wirkt das Gedicht klanglos. Dies könnte auf die Folgen des anschließen des Führers andeuten, denn dadurch verliert der Mensch seinen Klang genauso wie seine Kreativität und seine Individualität. Sie sind im Einklang.