Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Dramenanalysen/Georg Büchner: Woyzeck: Unterschied zwischen den Versionen
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''Beim Hauptmann''<ref>Aus: https://www.projekt-gutenberg.org/buechner/woyzeck/chap02.html</ref> | ==Das Militär: '''Hauptmann und Woyzeck im Vergleich'''== | ||
''Szene 5: Beim Hauptmann''<ref>Aus: https://www.projekt-gutenberg.org/buechner/woyzeck/chap02.html</ref> | |||
''Hauptmann auf dem Stuhl, Woyzeck rasiert ihn.'' | ''Hauptmann auf dem Stuhl, Woyzeck rasiert ihn.'' | ||
Hauptmann: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er, Er hat noch seine schönen dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck! | '''Hauptmann:''' Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er, Er hat noch seine schönen dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck! | ||
Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann. | '''Woyzeck:''' Jawohl, Herr Hauptmann. | ||
Hauptmann: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist ewig, das ist ewig – das siehst du ein; nur ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick – Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tag herumdreht. Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd melancholisch. | '''Hauptmann:''' Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist ewig, das ist ewig – das siehst du ein; nur ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick – Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tag herumdreht. Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd melancholisch. | ||
Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann. | '''Woyzeck:''' Jawohl, Herr Hauptmann. | ||
Hauptmann: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. – Red er doch was Woyzeck! Was ist heut für Wetter? | '''Hauptmann:''' Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. – Red er doch was Woyzeck! Was ist heut für Wetter? | ||
Woyzeck: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind! | '''Woyzeck:''' Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind! | ||
Hauptmann: Ich spür's schon. 's ist so was Geschwindes draußen: so ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. – ''Pfiffig:'' Ich glaub', wir haben so was aus Süd-Nord? | '''Hauptmann:''' Ich spür's schon. 's ist so was Geschwindes draußen: so ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. – ''Pfiffig:'' Ich glaub', wir haben so was aus Süd-Nord? | ||
Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann. | '''Woyzeck:''' Jawohl, Herr Hauptmann. | ||
Hauptmann: Ha, ha ha! Süd-Nord! Ha, ha, ha! Oh, Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! – ''Gerührt:'' Woyzeck, Er ist ein guter Mensch – aber – ''Mit Würde:''Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hocherwürdiger Herr Garnisionsprediger sagt – ohne den Segen der Kirche, es ist ist nicht von mir. | '''Hauptmann:''' Ha, ha ha! Süd-Nord! Ha, ha, ha! Oh, Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! – ''Gerührt:'' Woyzeck, Er ist ein guter Mensch – aber – ''Mit Würde:''Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hocherwürdiger Herr Garnisionsprediger sagt – ohne den Segen der Kirche, es ist ist nicht von mir. | ||
Woyzeck: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen. | '''Woyzeck:''' Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen. | ||
Hauptmann: Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag': Er, so mein' ich Ihn, Ihn – | '''Hauptmann:''' Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag': Er, so mein' ich Ihn, Ihn – | ||
Woyzeck: Wir arme Leut – Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer kein Geld hat – Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in der Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub', wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen. | '''Woyzeck:''' Wir arme Leut – Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer kein Geld hat – Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in der Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub', wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen. | ||
Hauptmann: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg', wenn's geregnet hat, und den weißen Strümpfen nachseh', wie sie über die Gassen springen – verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab' auch Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! Die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit rumbringen? Ich sag' mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch – ''gerührt:'' –, ein guter Mensch, ein guter Mensch. | '''Hauptmann:''' Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg', wenn's geregnet hat, und den weißen Strümpfen nachseh', wie sie über die Gassen springen – verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab' auch Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! Die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit rumbringen? Ich sag' mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch – ''gerührt:'' –, ein guter Mensch, ein guter Mensch. | ||
Woyzeck: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend – ich hab's noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt' ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt' vornehm rede, ich wollt' schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl! | '''Woyzeck:''' Ja, Herr Hauptmann, die Tugend – ich hab's noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt' ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt' vornehm rede, ich wollt' schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl! | ||
Hauptmann: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. – Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter! | '''Hauptmann:''' Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. – Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter!<br /> | ||
{{Box|Arbeitsauftrag|# Worüber spricht deine Figur? | |||
# Warum tut sie das? | |||
# Welche Haltung zeigt deine Figur gegenüber dem jeweils anderen? | |||
# Welche Aspekte ergeben sich daraus für einen dramatischen Konflikt?|Arbeitsmethode}} | |||
==Die traditionelle Ordnung: Deutschland im 19. Jahrhundert== | |||
{{Box|Arbeitsauftrag|Recherchiert die historische, soziale und philosophische Situation in Deutschland zu Zeiten Büchners: Aufklärung, Vielstaaterei, Pauperismus, Büchners Vita uvm. Verlinkt die Beiträge auf euren Benutzerseiten. | |||
Die Informationen dienen als Grundlage für die Zusammenfassung der "traditionellen Ordnung". |Arbeitsmethode}} | |||
<br /> | |||
====Hauptmann:==== | |||
- adelig, Militärangehöriger höheren Ranges, ist Woyzeck gesellschaftlich überlegen, sein Vorgesetzter/Arbeitgeber | |||
Worüber spricht der Hauptmann? | |||
- Vielredner; redet gerne über Zeit, die Vergänglichkeit des Lebens und die Unsicherheit der Zukunft | |||
- Beschäftigung: Denkt darüber nach was er mit seinen restlichen 10 Minuten anfangen soll („Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird?“) | |||
- Tugend: Woyzeck sei kein tugendhafter Mensch, habe keine Moral | |||
Warum? | |||
*• Um später wieder aufzugreifen, Themen wie die Vergänglichkeit des Lebens, Sinn des Lebens etc. | |||
Welche Haltung: | |||
*• Überlegenheit, da er Woyzeck Befehle gibt („ Langsam, Woyzeck, langsam“) | |||
*• Zeigt Interesse an Woyzecks Zustand („ Red er doch was Woyzeck! Was ist heut für Wetter?“) | |||
*• Form der Fürsorglichkeit, mitleidig/empathisch gegenüber Woyzeck; gibt ihm Aufträge für kleines Geld | |||
*• Autoritätsperson einer höheren Klasse | |||
*klassistische Grundhaltung; ablehnende Distanz gegenüber weniger privilegierten sozialen Gruppen | |||
*Anerkennung von Woyzecks Fähigkeiten, z.B. Rasieren | |||
Der Hauptmann spricht in diesem Dialog über verschiedene Themen, darunter die Zeit, die Ewigkeit, die Moral, und die Tugend. Er äußert seine Besorgnis über die Zeit und den Gedanken an die Ewigkeit. Er macht sich Gedanken über die Verschwendung von Zeit und drückt seine Unzufriedenheit darüber aus, wie schnell die Welt sich dreht. | |||
Der Hauptmann tut dies wahrscheinlich, um eine tiefere Konversation mit Woyzeck zu führen und möglicherweise, um seine eigenen Gedanken und Überlegungen mitzuteilen. Es scheint, als ob er versucht, Woyzeck zum Nachdenken zu bringen und seine eigene Sichtweise auf das Leben zu teilen. | |||
Die Haltung des Hauptmanns gegenüber Woyzeck scheint ambivalent zu sein. Einerseits spricht er Woyzeck als "guten Menschen" an und zeigt eine gewisse Sorge um sein Wohlbefinden. Andererseits wirft er ihm vor, keine Moral zu haben, besonders wenn es um die Geburt eines Kindes ohne den Segen der Kirche geht. | |||
Aus diesem Dialog ergeben sich verschiedene Aspekte für den dramatischen Konflikt. Zum einen gibt es eine soziale Hierarchie und Klassenunterschiede, die sich in der Art und Weise, wie der Hauptmann mit Woyzeck spricht, widerspiegeln. Die moralischen Vorstellungen und das Wertesystem des Hauptmanns und Woyzecks stehen im Konflikt. Woyzeck hingegen betont die Schwierigkeiten, denen er aufgrund seiner sozialen Lage gegenübersteht, und weist darauf hin, dass Menschen in Armut oft keine andere Wahl haben. | |||
====Woyzeck:==== | |||
- einfacher Stadtsoldat (unterster militärischer Rang), lebt in einer Kaserne, muss sich sein Bett teilen; gesellschaftlich ganz unten; religiöse Grundbildung | |||
- unehelicher Vater eines kleinen Kindes | |||
- mit Marie zusammen | |||
- materiell abhängig vom Hauptmann, ihm unterlegen | |||
- Dienstleister | |||
- übt Kritik | |||
#<u>Worüber spricht deine Figur?</u> | |||
#- er antwortet dem Hauptmann mit "Ja, Herr Hauptmann" (V.9,19) - als der Hauptmann ihn nach dem Wetter fragt, sagt er, dass es windig sei (V.24) | |||
#- er spricht über seinen Sohn und sagt, dass es Gott egal ist, dass dieser nicht gesegnet ist (V.1f) | |||
#- er spricht über seinen sotialen Stand, dass dieser Gesellschaftlich nicht akzeptiert ist und kein Geld bringt (V.8ff) | |||
#- er spricht darüber, dass er selbst im Himmel noch arbeiten müsste (V.12f) | |||
#- er sagt, dass er nicht tugendhaft sein kann, da er arm ist (V.23ff) <br /> | |||
#<u>Warum tut sie das?</u> | |||
#- er fühlt sich dem Hauptmann untergeben, da dieser sein Vorgesetzter ist | |||
#- er will seinen unehelichen Sohn rechtfertigen | |||
#- er will die abwertende Behandlung der Gesellschaft gegenüber ihm bzw. anderen armen thematisieren <br /> | |||
#<u>Welche Haltung zeigt deine Figur gegenüber dem jeweils anderen?</u> | |||
#- unterwürfig | |||
#- gehorsam ("Jawohl, Herr Hauptmann") | |||
#- steht ihm zu Verfügung und erfüllt seine Wünsche | |||
#- selbstverteidigend, wenn es um seine Familie (Kind) geht, durchaus politisch, sozialkritisch bezüglich gesellschaftlicher Strukturen | |||
#- bleibt immer höflich und greift den Hauptmann nicht direkt an.<br /> | |||
#<u>Welche Aspekte ergeben sich daraus für einen dramatischen Konflikt?</u> Woyzecks äußere Handlung steht im Gegensatz zu seinen inneren Gefühlen | |||
#—> fühlt sich gedemütigt und abwertend behandelt, unterwirft sich dem Hauptmann trotzdem | |||
====Mögliche dramatische Konflikte:==== | |||
*• Klassen Konflikt: Soziale Unterrschiede | |||
*• Existenzieller Konflikt: Besorgnis der Ewigkeit des Hauptmanns | |||
*• Zeitdruck: Woyzeck führt hektisches leben, steht unter Zeitdruck, Hauptmann hat zu viel Zeit | |||
*Luxusprobleme (Langeweile) vs. existenzielle Probleme (Armut) | |||
<br /><references /> | |||
===Die Wissenschaft: '''Doktor und Woyzeck - Szene 8'''=== | |||
'''Inhalt:''' Der Doktor konfrontiert mit dessen unerlaubtem An-die-Wand-Pinkeln. Woyzeck versucht, sich zu rechtfertigen. Der Doktor berichtet von seinem wissenschaftlichen Experiment. Woyzeck versucht, dem Doktor von seinen Halluzinationen zu berichten, woraufhin dieser ihm eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Der Doktor zeigt sich zufrieden mit seinem Experiment und verspricht Woyzeck dafür eine finanzielle Zulage.<div class="grid"></div>{{Box|Arbeitsauftrag|"Übersetzt" die Szene 8 ("Beim Doktor") möglichst textnah in modernes Hochdeutsch. | |||
Dokumentiert eure Übersetzung auf einer eurer Benutzerseiten. | |||
Es muss deutlich werden, worum es in dieser Szene inhaltlich geht und wie die Figuren Doktor und Woyzeck zueinander stehen.|Arbeitsmethode}}<div class="grid"><div class="width-1-2">'''Woyzeck'''. Der Doktor. | |||
'''Doktor''': Was erleb' ich, Woyzeck? Ein Mann von Wort! | |||
'''Woyzeck''': Was denn, Herr Doktor? | |||
'''Doktor''': Ich hab's gesehn, Woyzeck; er hat auf die Straß gepißt, an die Wand gepißt, wie ein Hund. – Und doch drei Groschen täglich und die Kost! Woyzeck, das ist schlecht; die Welt wird schlecht, sehr schlecht! | |||
'''Woyzeck''': Aber, Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt. | |||
'''Doktor''': Die Natur kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab' ich nicht nachgewiesen, daß der Musculus constrictor vesicae dem Willen unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit. – Den Harn nicht halten können! – Schüttelt den Kopf, legt die Hände auf den Rücken und geht auf und ab. – Hat Er schon seine Erbsen gegessen, Woyzeck? Nichts als Erbsen, cruciferae, merk Er sich's! Es gibt eine Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff 0,10, salzsaures Ammonium, Hyperoxydul – Woyzeck, muß Er nicht wieder pissen? Geh Er einmal hinein und probier Er's! | |||
'''Woyzeck''': Ich kann nit, Herr Doktor. | |||
'''Doktor''' mit Affekt: Aber an die Wand pissen! Ich hab's schriftlich, den Akkord in der Hand! – Ich hab's gesehen, mit diesen Augen gesehen; ich steckt' grade die Nase zum Fenster hinaus und ließ die Sonnenstrahlen hineinfallen, um das Niesen zu beobachten. – Tritt auf ihn los: Nein, Woyzeck, ich ärgre mich nicht; Ärger ist ungesund, ist unwissenschaftlich. Ich bin ruhig, ganz ruhig; mein Puls hat seine gewöhnlichen sechzig, und ich sag's Ihm mit der größten Kaltblütigkeit. Behüte, wer wird sich über einen Menschen ärgern, ein' Mensch! Wenn es noch ein Proteus wäre, der einem krepiert! Aber, Woyzeck, Er hätte nicht an die Wand pissen sollen – | |||
'''Woyzeck''': Sehn Sie, Herr Doktor, manchmal hat einer so 'en Charakter, so 'ne Struktur. – Aber mit der Natur ist's was anders, sehn Sie; mit der Natur – er kracht mit den Fingern –, das is so was, wie soll ich sagen, zum Beispiel ... | |||
'''Doktor''': Woyzeck, Er philosophiert wieder. | |||
'''Woyzeck''' vertraulich: Herr Doktor, haben Sie schon was von der doppelten Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mattag steht und es ist, als ging' die Welt in Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir geredt! | |||
'''Doktor''': Woyzeck, Er hat eine Aberratio. | |||
Woyzeck legt den Finger auf die Nase: Die Schwämme, Herr Doktor, da, da steckt's. Haben Sie schon gesehn, in was für Figuren die Schwämme auf dem Boden wachsen? Wer das lesen könnt! | |||
'''Doktor''': Woyzeck, Er hat die schönste Aberratio mentalis partialis, die zweite Spezies, sehr schön ausgeprägt. Woyzeck, Er kriegt Zulage! Zweite Spezies: fixe Idee mit allgemein vernünftigem Zustand. – Er tut noch alles wie sonst? Rasiert seinen Hauptmann? | |||
'''Woyzeck''': Jawohl. | |||
'''Doktor''': Ißt seine Erbsen? | |||
'''Woyzeck''': Immer ordentlich, Herr Doktor. Das Geld für die Menage kriegt meine Frau. | |||
'''Doktor''': Tut seinen Dienst? | |||
'''Woyzeck''': Jawohl. | |||
'''Doktor''': Er ist ein interessanter Kasus. Subjekt Woyzeck, Er kriegt Zulage, halt Er sich brav. Zeig Er seinen Puls. Ja.</div> | |||
<div class="width-1-2"> | |||
'''Doktor:''' Was muss ich erleben? Woyzeck, wir müssen reden. | |||
'''Woyzeck:''' Was ist denn? | |||
'''Doktor:''' Ich habe beobachtet, wie du an eine Wand gepisst hast, fast wie ein Hund. Und doch wirst du bezahlt, drei Groschen täglich und das Essen. Das ist schlecht. Diese Welt wird immer schlechter. | |||
'''Woyzeck:''' Wenn man muss, dann muss man. | |||
'''Doktor:''' Das ist keine Ausrede, ich habe bereits nachgewiesen, dass unser Körper unserem Willen unterworfen ist. Der Mensch kann machen was er will. Hast du schon deine Erbsen gegessen, Woyzeck? Die Revolution in der Wissenschaft werde ich zerschlagen. Harnstoff, 0,10 salzsaures Ammonium, Hyperoxydul. Musst du wieder pissen? Willst du es probieren? | |||
'''Woyzeck:''' Nein, ich muss gerade nicht. | |||
'''Doktor:''' Aber Hauptsache an die Wand pissen! Ich habe ein Beweis und hab’s gesehen, als ich am Fenster niesen musste. Mich ärgert das nicht, ich bin ruhig. Mein Puls ist auf 60. Aber an die Wand war echt unnötig! | |||
'''Woyzeck:''' Manchmal macht man halt sowas. | |||
'''Doktor:''' Wie ich sehe bist du sehr eingeschränkt und verwirrt. | |||
'''Woyzeck:''' Die Versuchung war einfach zu groß. Manchmal höre ich Stimmen. | |||
'''Doktor:''' Meine Vermutung hast du damit bestätigt. | |||
'''Woyzeck:''' *redet wirres Zeug | |||
'''Doktor:''' Woyzeck, Sie haben die größte Aberratio mentalis partialis der zweiten Form, sehr stark ausgeprägt. Woyzeck, Sie kriegen eine Zulage! Die Zweite Form ist, wenn man eine wirre Idee hat, aber noch einen allgemein vernünftigen Zustand. -Sie machen noch alles wie immer? Rasieren Sie den Hauptmann noch? | |||
'''Woyzeck:''' Ja. | |||
'''Doktor:''' Isst du deine Erbsen? | |||
'''Woyzeck:''' Ja, das meiste bekommt aber meine Frau. | |||
'''Doktor:''' Tun Sie ihren Dienst? | |||
'''Woyzeck:''' Ja. | |||
'''Doktor:''' Du bist ein interessanter Fall. Ein Versuchskaninchen, Woyzeck. Du bekommest eine Zulage. Bleib so brav wie vorher, mach weiter, wie ich es dir sage. Zeig mir einmal, wie hoch dein Puls ist.<br /></div> | |||
</div> | |||
{{Box|Arbeitsauftrag|Vergleicht eure Versionen der Szene 8 ("Beim Doktor") gemäß Aufgabenstellung. Formuliert ein inhaltsbezogenes konstruktives Feedback im Diskussionsforum der jeweiligen Benutzerseite. Achtet dabei auf die Netiquette! | |||
Sammelt Vorschläge zur Optimierung der Ergebnisse von Dienstag - Ergänzungen.|Arbeitsmethode}}→ [[Benutzer:KiANSG|KiANSG]]; [[Benutzer:LiBNSG|LiBNSG]]; [[Benutzer:CaGoNSG|CaGoNSG]]; [[Benutzer:LeKlNSG|LeKlNSG]]; [[Benutzer:CeKoNSG|CeKoNSG]]; [[Benutzer:PaScNSG|PaScNSG]]; [[Benutzer:TiScNSG|TiScNSG]]; [[Benutzer:FioStNSG|FioStNSG]]; [[Benutzer:MarWeNSG|MarWeNSG]] | |||
==Woyzeck im Spannungsfeld der Gesellschaft== | |||
Aufgabenstellung: Recherchiert die historische, soziale und philosophische Situation in Deutschland zu Zeiten Büchners: Aufklärung, Vielstaaterei, Pauperismus, Büchners Vita uvm. | |||
Die Informationen dienen als Grundlage für die Zusammenfassung der "traditionellen Ordnung". Erstellt mit [https://chat.openai.com/c/9bd01eb0-6d70-4d39-a0c7-22eedbeceb4b ChatGPT]: | |||
'''Georg Büchner:''' | |||
*Georg Büchner (1813-1837) war ein deutscher Schriftsteller, Mediziner und Revolutionär. | |||
*Büchner gilt als einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Vormärz und der literarischen Strömung des Realismus. | |||
*Sein bekanntestes Werk ist das Drama "Woyzeck", das posthum veröffentlicht wurde. | |||
'''Historische Situation in Deutschland zu Büchners Zeiten:''' | |||
*Aufklärung: Die Aufklärung hatte bereits im 18. Jahrhundert in Deutschland begonnen und beeinflusste die Denkweise der Menschen, indem sie Rationalität, Freiheit und individuelle Rechte betonte. | |||
*Revolutionen in Europa: Umsturzversuche gegen alte Monarchien; Bildung von Republiken | |||
*Vielstaaterei: Deutschland war zu Büchners Zeiten in viele kleine Staaten zersplittert, was als "Vielstaaterei" bekannt ist. Diese politische Zersplitterung beeinflusste die politische Landschaft und die sozialen Verhältnisse. | |||
*ungerechte Verteilungsprinzipien der restauratorischen Gesellschaft: Rückkehr zur Feudal-(Ständegesellschaft); Widerspruch von Arm und Reich. | |||
*Pauperismus (Verelendung): Der Begriff bezieht sich auf die Armut und sozialen Probleme, die in der Bevölkerung weit verbreitet waren. Die Industrialisierung hatte weitreichende soziale Veränderungen zur Folge, darunter auch Armut und Elend in städtischen Gebieten (Übergang zur Industriegesellschaft: Entstehung von Fabriken und städtischen Ballungsgebieten). | |||
'''Philosophische Situation:''' | |||
*Idealismus und Romantik: In der Philosophie dominierten Idealismus und Romantik. Philosophen wie Hegel und Rousseau prägten das intellektuelle Klima mit Ideen über den Geist, die Freiheit und die Entwicklung der Geschichte. Diese Bewegungen betonten emotionale Echtheit, die Verbindung zur Natur und die Suche nach dem Absoluten und Unendlichen. | |||
'''Büchners Vita:''' | |||
*Georg Büchner wurde 1813 in Goddelau bei Darmstadt geboren. | |||
*Er studierte Medizin, Geschichte und Philosophie in Straßburg und Gießen. | |||
*Büchner beteiligte sich aktiv an politischen Bewegungen und engagierte sich für soziale Gerechtigkeit. | |||
*Sein Leben endete früh; er starb 1837 im Alter von nur 23 Jahren an den Folgen einer Typhus-Erkrankung. | |||
===Pauperismus=== | |||
Als Pauperismus beschreibt man die "massenhafte Verelendung" der Gesellschaft im 19. Jahrhundert als Folge der Industrialisierung. Dies zeigt sich in Hungersnot und Geldnot unter dem Volk. Ausgelöst wurde dies durch | |||
- den Ersatz von Menschenkraft durch Maschinen (z.B. in der Textilindustrie: Spinnen, Weben, Färben) | |||
- Ersatz von menschlicher Handwerkskunst durch einfache Arbeit an Maschinen | |||
- in der Folge Preisverfall der Produkte. | |||
- Zuwanderung der Menschen vom Land in die Stadt | |||
- Kinderarbeit in den Fabriken | |||
- in der Folge zum Lohndumping | |||
- in Deutschland kam erschwerend die Abschaffung der Zünfte hinzu, weshalb die Handwerkergesellschaft überbesetzt wurde. Aus diesem Grund wurden weitere Arbeiter entlassen. Zu dieser Zeit wurde keine Lösung für den Pauperismus gefunden. | |||
Woyzeck und Marie als „einfache“ Menschen: | |||
- Woyzeck empfindet sich als so arm, dass er selbst im Himmel für seinen Unterhalt wird arbeiten müssen (Szene 5). Er hatte aber ein wenig geerbt. | |||
'''Einkommen''' : | |||
Woyzeck erhält einen (geringen) Soldatenlohn und zwei Groschen täglich für seine Teilnahme am Erbsenexperiment (Szene 8). | |||
Marie erhält die Menage von Woyzeck (Szene 8); Geschenke vom Tambourmajor (z.B. Ohrringe; Szene 4); hat offenbar kein eigenes, geregeltes Einkommen. | |||
'''Besitzstand''': | |||
- Marie: ein kaputter Mini-Spiegel (Szene 4); keinen Schmuck | |||
- Woyzeck: kein eigenes Bett, teil sein Bett mit Andres (Szene 13). Eine Pistole ist zu teuer, er kauft ein Messer für zwei Groschen - einen Tageslohn (Szene 15) | |||
- Woyzeck besitzt nur ein paar Gegenstände (Bibel, Kreuz, Ring, Heiligenbild, Herzen, Gold) davon sind drei geerbt (Szene 17) | |||
Woyzecks Umfeld: Marie, Andres | |||
Maries Wünsche: | |||
- Wunsch nach materiellen Gütern, z.B. einen Spiegel oder Schmuck (Szene 4). | |||
- Wunsch nach einem starken (Szene 6: „stark wie ein Löw“), attraktiven Mann (Szene 2: „Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw.“), der mental stabil ist und Zeit für seine Familie hat. Eher kein Wunsch nach sexueller Erfüllung (Szene 6). | |||
===Woyzeck - ein eiskalter, psychopathischer Mörder?=== | |||
=====Literarisch:===== | |||
Hier kommen die Bewertungen rein. | |||
=====Historisch: Das Clarusgutachten===== | |||
Zum Vergleich | |||
- persönlicher Hintergrund: gebildeter Mann der Mittelschicht, keine genetische Disposition bekannt, bis zum 18. Lebensjahr unauffälliges Leben: galt als ruhig, bescheiden, verständnisvoll (Z. 38ff.) - Vater eines unehelichen Kindes mit der Woostin (Z. 317) | |||
- Z. 229ff.: sonderbare Träume, innere Stimmen, die z.B. ihn zur Tötung aufforderten (Z. 261). | |||
- Zeugen konnten keine auffälligen Merkmale erkennen (Z. 229ff.), konnten z.B. Wahnvorstellungen/innere Stimmen nicht bestätigen. | |||
- unzufrieden mit sich selber; bewertete sich selbst als keinen guten Menschen. | |||
- ursprünglich an eine andere Frau versprochen: Wienbergin (Z.320ff). Bereut das Scheitern der Beziehung, nicht aber die Tötung der Woostin (Z. 314ff). | |||
- Neigung zu eifersüchtiger Brutalität: gewalttätig der Woostin gegenüber ( Z. 243ff.); | |||
- Eifersucht gegenüber Woostin, als sie mit einem Soldaten spazierengeht (Z. 291). | |||
- keine Verhaltensauffälligkeiten während der Untersuchungshaft (Z. 250ff.) | |||
- Hoher Alkoholkonsum (Z.160) | |||
Zum Tatzeitpunkt war er obdachlos, hatte sich vierzehn Tage lang herumgetrieben und von Almosen der Bevölkerung gelebt. Zu diesem Zeitpunkt war er sprechunfähig und konnte nur noch schriftlich kommunizieren (Z.273ff.) | |||
Büchners Woyzeck: | |||
- keine Gewalttätigkeit vorher gegenüber Marie | |||
- Erbsendiät | |||
- keine zweite Geliebte bei Büchner, dafür mehr Eifersucht auf den Tambourmajor. | |||
- gesellschaftlicher Stand - bei Büchner ist W. aus der Unterschicht, in der Historie nicht. | |||
- W. Erkrankung ist bei Büchner präsent | |||
=> gesellschaftliche Dramaturgie. | |||
== Helferfiguren: Hätte Andres das Verbrechen an Marie verhindern können? == | |||
Quellen: | |||
Dronke, Ernst: Elendsviertel in Berlin 1846. In: EinFach Deutsch G. Büchner, Woyzeck; Schöningh 2009, S. 27 | |||
<nowiki>https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/revolution-1848-1849</nowiki><ref><nowiki>https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/revolution-1848-1849/517523/sozialgeschichte-mitte-des-19-jahrhunderts/</nowiki> | |||
<nowiki>https://www.geschichte-abitur.de/deutschland-ein-flickenteppich</nowiki> | |||
<nowiki>https://www.geschichte-abitur.de/lexikon/uebersicht-industrielle-revolution/pauperismus#:~:text=Als%20“%20Pauperismus%20”%20wird%20die%20durch,vom%20Land%20in%20die%20Stadt</nowiki>. | |||
<nowiki>https://historia-europa.ep.eu/de/dauerausstellung/weltmacht-europa#:~:text=Das%2019.,Umbrüche%2C%20aber%20auch%20der%20Chancen</nowiki>.</ref> | |||
<nowiki>https://www.geschichte-abitur.de/deutschland-ein-flickenteppich</nowiki><ref>https://www.geschichte-abitur.de/deutschland-ein-flickenteppich</ref> | |||
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Aktuelle Version vom 20. Februar 2024, 09:37 Uhr
Das Militär: Hauptmann und Woyzeck im Vergleich
Szene 5: Beim Hauptmann[1]
Hauptmann auf dem Stuhl, Woyzeck rasiert ihn.
Hauptmann: Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! Er macht mir ganz schwindlig. Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird? Woyzeck, bedenk Er, Er hat noch seine schönen dreißig Jahr zu leben, dreißig Jahr! Macht dreihundertsechzig Monate! und Tage! Stunden! Minuten! Was will Er denn mit der ungeheuren Zeit all anfangen? Teil Er sich ein, Woyzeck!
Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann: Es wird mir ganz angst um die Welt, wenn ich an die Ewigkeit denke. Beschäftigung, Woyzeck, Beschäftigung! Ewig: das ist ewig, das ist ewig – das siehst du ein; nur ist es aber wieder nicht ewig, und das ist ein Augenblick, ja ein Augenblick – Woyzeck, es schaudert mich, wenn ich denke, daß sich die Welt in einem Tag herumdreht. Was 'n Zeitverschwendung! Wo soll das hinaus? Woyzeck, ich kann kein Mühlrad mehr sehen, oder ich werd melancholisch.
Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann: Woyzeck, Er sieht immer so verhetzt aus! Ein guter Mensch tut das nicht, ein guter Mensch, der sein gutes Gewissen hat. – Red er doch was Woyzeck! Was ist heut für Wetter?
Woyzeck: Schlimm, Herr Hauptmann, schlimm: Wind!
Hauptmann: Ich spür's schon. 's ist so was Geschwindes draußen: so ein Wind macht mir den Effekt wie eine Maus. – Pfiffig: Ich glaub', wir haben so was aus Süd-Nord?
Woyzeck: Jawohl, Herr Hauptmann.
Hauptmann: Ha, ha ha! Süd-Nord! Ha, ha, ha! Oh, Er ist dumm, ganz abscheulich dumm! – Gerührt: Woyzeck, Er ist ein guter Mensch – aber – Mit Würde:Woyzeck, Er hat keine Moral! Moral, das ist, wenn man moralisch ist, versteht Er. Es ist ein gutes Wort. Er hat ein Kind ohne den Segen der Kirche, wie unser hocherwürdiger Herr Garnisionsprediger sagt – ohne den Segen der Kirche, es ist ist nicht von mir.
Woyzeck: Herr Hauptmann, der liebe Gott wird den armen Wurm nicht drum ansehen, ob das Amen drüber gesagt ist, eh er gemacht wurde. Der Herr sprach: Lasset die Kleinen zu mir kommen.
Hauptmann: Was sagt Er da? Was ist das für eine kuriose Antwort? Er macht mich ganz konfus mit seiner Antwort. Wenn ich sag': Er, so mein' ich Ihn, Ihn –
Woyzeck: Wir arme Leut – Sehn Sie, Herr Hauptmann: Geld, Geld! Wer kein Geld hat – Da setz einmal eines seinesgleichen auf die Moral in der Welt! Man hat auch sein Fleisch und Blut. Unsereins ist doch einmal unselig in der und der andern Welt. Ich glaub', wenn wir in Himmel kämen, so müßten wir donnern helfen.
Hauptmann: Woyzeck, Er hat keine Tugend! Er ist kein tugendhafter Mensch! Fleisch und Blut? Wenn ich am Fenster lieg', wenn's geregnet hat, und den weißen Strümpfen nachseh', wie sie über die Gassen springen – verdammt, Woyzeck, da kommt mir die Liebe! Ich hab' auch Fleisch und Blut. Aber, Woyzeck, die Tugend! Die Tugend! Wie sollte ich dann die Zeit rumbringen? Ich sag' mir immer: du bist ein tugendhafter Mensch – gerührt: –, ein guter Mensch, ein guter Mensch.
Woyzeck: Ja, Herr Hauptmann, die Tugend – ich hab's noch nit so aus. Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die Natur; aber wenn ich ein Herr wär und hätt' ein' Hut und eine Uhr und eine Anglaise und könnt' vornehm rede, ich wollt' schon tugendhaft sein. Es muß was Schönes sein um die Tugend, Herr Hauptmann. Aber ich bin ein armer Kerl!
Hauptmann: Gut, Woyzeck. Du bist ein guter Mensch, ein guter Mensch. Aber du denkst zuviel, das zehrt; du siehst immer so verhetzt aus. – Der Diskurs hat mich ganz angegriffen. Geh jetzt, und renn nicht so; langsam, hübsch langsam die Straße hinunter!
Die traditionelle Ordnung: Deutschland im 19. Jahrhundert
Hauptmann:
- adelig, Militärangehöriger höheren Ranges, ist Woyzeck gesellschaftlich überlegen, sein Vorgesetzter/Arbeitgeber Worüber spricht der Hauptmann?
- Vielredner; redet gerne über Zeit, die Vergänglichkeit des Lebens und die Unsicherheit der Zukunft
- Beschäftigung: Denkt darüber nach was er mit seinen restlichen 10 Minuten anfangen soll („Was soll ich dann mit den 10 Minuten anfangen, die Er heut zu früh fertig wird?“)
- Tugend: Woyzeck sei kein tugendhafter Mensch, habe keine Moral
Warum?
- • Um später wieder aufzugreifen, Themen wie die Vergänglichkeit des Lebens, Sinn des Lebens etc.
Welche Haltung:
- • Überlegenheit, da er Woyzeck Befehle gibt („ Langsam, Woyzeck, langsam“)
- • Zeigt Interesse an Woyzecks Zustand („ Red er doch was Woyzeck! Was ist heut für Wetter?“)
- • Form der Fürsorglichkeit, mitleidig/empathisch gegenüber Woyzeck; gibt ihm Aufträge für kleines Geld
- • Autoritätsperson einer höheren Klasse
- klassistische Grundhaltung; ablehnende Distanz gegenüber weniger privilegierten sozialen Gruppen
- Anerkennung von Woyzecks Fähigkeiten, z.B. Rasieren
Der Hauptmann spricht in diesem Dialog über verschiedene Themen, darunter die Zeit, die Ewigkeit, die Moral, und die Tugend. Er äußert seine Besorgnis über die Zeit und den Gedanken an die Ewigkeit. Er macht sich Gedanken über die Verschwendung von Zeit und drückt seine Unzufriedenheit darüber aus, wie schnell die Welt sich dreht.
Der Hauptmann tut dies wahrscheinlich, um eine tiefere Konversation mit Woyzeck zu führen und möglicherweise, um seine eigenen Gedanken und Überlegungen mitzuteilen. Es scheint, als ob er versucht, Woyzeck zum Nachdenken zu bringen und seine eigene Sichtweise auf das Leben zu teilen.
Die Haltung des Hauptmanns gegenüber Woyzeck scheint ambivalent zu sein. Einerseits spricht er Woyzeck als "guten Menschen" an und zeigt eine gewisse Sorge um sein Wohlbefinden. Andererseits wirft er ihm vor, keine Moral zu haben, besonders wenn es um die Geburt eines Kindes ohne den Segen der Kirche geht.
Aus diesem Dialog ergeben sich verschiedene Aspekte für den dramatischen Konflikt. Zum einen gibt es eine soziale Hierarchie und Klassenunterschiede, die sich in der Art und Weise, wie der Hauptmann mit Woyzeck spricht, widerspiegeln. Die moralischen Vorstellungen und das Wertesystem des Hauptmanns und Woyzecks stehen im Konflikt. Woyzeck hingegen betont die Schwierigkeiten, denen er aufgrund seiner sozialen Lage gegenübersteht, und weist darauf hin, dass Menschen in Armut oft keine andere Wahl haben.
Woyzeck:
- einfacher Stadtsoldat (unterster militärischer Rang), lebt in einer Kaserne, muss sich sein Bett teilen; gesellschaftlich ganz unten; religiöse Grundbildung
- unehelicher Vater eines kleinen Kindes
- mit Marie zusammen
- materiell abhängig vom Hauptmann, ihm unterlegen
- Dienstleister
- übt Kritik
- Worüber spricht deine Figur?
- - er antwortet dem Hauptmann mit "Ja, Herr Hauptmann" (V.9,19) - als der Hauptmann ihn nach dem Wetter fragt, sagt er, dass es windig sei (V.24)
- - er spricht über seinen Sohn und sagt, dass es Gott egal ist, dass dieser nicht gesegnet ist (V.1f)
- - er spricht über seinen sotialen Stand, dass dieser Gesellschaftlich nicht akzeptiert ist und kein Geld bringt (V.8ff)
- - er spricht darüber, dass er selbst im Himmel noch arbeiten müsste (V.12f)
- - er sagt, dass er nicht tugendhaft sein kann, da er arm ist (V.23ff)
- Warum tut sie das?
- - er fühlt sich dem Hauptmann untergeben, da dieser sein Vorgesetzter ist
- - er will seinen unehelichen Sohn rechtfertigen
- - er will die abwertende Behandlung der Gesellschaft gegenüber ihm bzw. anderen armen thematisieren
- Welche Haltung zeigt deine Figur gegenüber dem jeweils anderen?
- - unterwürfig
- - gehorsam ("Jawohl, Herr Hauptmann")
- - steht ihm zu Verfügung und erfüllt seine Wünsche
- - selbstverteidigend, wenn es um seine Familie (Kind) geht, durchaus politisch, sozialkritisch bezüglich gesellschaftlicher Strukturen
- - bleibt immer höflich und greift den Hauptmann nicht direkt an.
- Welche Aspekte ergeben sich daraus für einen dramatischen Konflikt? Woyzecks äußere Handlung steht im Gegensatz zu seinen inneren Gefühlen
- —> fühlt sich gedemütigt und abwertend behandelt, unterwirft sich dem Hauptmann trotzdem
Mögliche dramatische Konflikte:
- • Klassen Konflikt: Soziale Unterrschiede
- • Existenzieller Konflikt: Besorgnis der Ewigkeit des Hauptmanns
- • Zeitdruck: Woyzeck führt hektisches leben, steht unter Zeitdruck, Hauptmann hat zu viel Zeit
- Luxusprobleme (Langeweile) vs. existenzielle Probleme (Armut)
Die Wissenschaft: Doktor und Woyzeck - Szene 8
Inhalt: Der Doktor konfrontiert mit dessen unerlaubtem An-die-Wand-Pinkeln. Woyzeck versucht, sich zu rechtfertigen. Der Doktor berichtet von seinem wissenschaftlichen Experiment. Woyzeck versucht, dem Doktor von seinen Halluzinationen zu berichten, woraufhin dieser ihm eine psychische Erkrankung diagnostiziert. Der Doktor zeigt sich zufrieden mit seinem Experiment und verspricht Woyzeck dafür eine finanzielle Zulage.
Doktor: Was erleb' ich, Woyzeck? Ein Mann von Wort!
Woyzeck: Was denn, Herr Doktor?
Doktor: Ich hab's gesehn, Woyzeck; er hat auf die Straß gepißt, an die Wand gepißt, wie ein Hund. – Und doch drei Groschen täglich und die Kost! Woyzeck, das ist schlecht; die Welt wird schlecht, sehr schlecht!
Woyzeck: Aber, Herr Doktor, wenn einem die Natur kommt.
Doktor: Die Natur kommt, die Natur kommt! Die Natur! Hab' ich nicht nachgewiesen, daß der Musculus constrictor vesicae dem Willen unterworfen ist? Die Natur! Woyzeck, der Mensch ist frei, in dem Menschen verklärt sich die Individualität zur Freiheit. – Den Harn nicht halten können! – Schüttelt den Kopf, legt die Hände auf den Rücken und geht auf und ab. – Hat Er schon seine Erbsen gegessen, Woyzeck? Nichts als Erbsen, cruciferae, merk Er sich's! Es gibt eine Revolution in der Wissenschaft, ich sprenge sie in die Luft. Harnstoff 0,10, salzsaures Ammonium, Hyperoxydul – Woyzeck, muß Er nicht wieder pissen? Geh Er einmal hinein und probier Er's!
Woyzeck: Ich kann nit, Herr Doktor.
Doktor mit Affekt: Aber an die Wand pissen! Ich hab's schriftlich, den Akkord in der Hand! – Ich hab's gesehen, mit diesen Augen gesehen; ich steckt' grade die Nase zum Fenster hinaus und ließ die Sonnenstrahlen hineinfallen, um das Niesen zu beobachten. – Tritt auf ihn los: Nein, Woyzeck, ich ärgre mich nicht; Ärger ist ungesund, ist unwissenschaftlich. Ich bin ruhig, ganz ruhig; mein Puls hat seine gewöhnlichen sechzig, und ich sag's Ihm mit der größten Kaltblütigkeit. Behüte, wer wird sich über einen Menschen ärgern, ein' Mensch! Wenn es noch ein Proteus wäre, der einem krepiert! Aber, Woyzeck, Er hätte nicht an die Wand pissen sollen –
Woyzeck: Sehn Sie, Herr Doktor, manchmal hat einer so 'en Charakter, so 'ne Struktur. – Aber mit der Natur ist's was anders, sehn Sie; mit der Natur – er kracht mit den Fingern –, das is so was, wie soll ich sagen, zum Beispiel ...
Doktor: Woyzeck, Er philosophiert wieder.
Woyzeck vertraulich: Herr Doktor, haben Sie schon was von der doppelten Natur gesehn? Wenn die Sonn in Mattag steht und es ist, als ging' die Welt in Feuer auf, hat schon eine fürchterliche Stimme zu mir geredt!
Doktor: Woyzeck, Er hat eine Aberratio.
Woyzeck legt den Finger auf die Nase: Die Schwämme, Herr Doktor, da, da steckt's. Haben Sie schon gesehn, in was für Figuren die Schwämme auf dem Boden wachsen? Wer das lesen könnt!
Doktor: Woyzeck, Er hat die schönste Aberratio mentalis partialis, die zweite Spezies, sehr schön ausgeprägt. Woyzeck, Er kriegt Zulage! Zweite Spezies: fixe Idee mit allgemein vernünftigem Zustand. – Er tut noch alles wie sonst? Rasiert seinen Hauptmann?
Woyzeck: Jawohl.
Doktor: Ißt seine Erbsen?
Woyzeck: Immer ordentlich, Herr Doktor. Das Geld für die Menage kriegt meine Frau.
Doktor: Tut seinen Dienst?
Woyzeck: Jawohl.
Doktor: Er ist ein interessanter Kasus. Subjekt Woyzeck, Er kriegt Zulage, halt Er sich brav. Zeig Er seinen Puls. Ja.Doktor: Was muss ich erleben? Woyzeck, wir müssen reden.
Woyzeck: Was ist denn?
Doktor: Ich habe beobachtet, wie du an eine Wand gepisst hast, fast wie ein Hund. Und doch wirst du bezahlt, drei Groschen täglich und das Essen. Das ist schlecht. Diese Welt wird immer schlechter.
Woyzeck: Wenn man muss, dann muss man.
Doktor: Das ist keine Ausrede, ich habe bereits nachgewiesen, dass unser Körper unserem Willen unterworfen ist. Der Mensch kann machen was er will. Hast du schon deine Erbsen gegessen, Woyzeck? Die Revolution in der Wissenschaft werde ich zerschlagen. Harnstoff, 0,10 salzsaures Ammonium, Hyperoxydul. Musst du wieder pissen? Willst du es probieren?
Woyzeck: Nein, ich muss gerade nicht.
Doktor: Aber Hauptsache an die Wand pissen! Ich habe ein Beweis und hab’s gesehen, als ich am Fenster niesen musste. Mich ärgert das nicht, ich bin ruhig. Mein Puls ist auf 60. Aber an die Wand war echt unnötig!
Woyzeck: Manchmal macht man halt sowas.
Doktor: Wie ich sehe bist du sehr eingeschränkt und verwirrt.
Woyzeck: Die Versuchung war einfach zu groß. Manchmal höre ich Stimmen.
Doktor: Meine Vermutung hast du damit bestätigt.
Woyzeck: *redet wirres Zeug
Doktor: Woyzeck, Sie haben die größte Aberratio mentalis partialis der zweiten Form, sehr stark ausgeprägt. Woyzeck, Sie kriegen eine Zulage! Die Zweite Form ist, wenn man eine wirre Idee hat, aber noch einen allgemein vernünftigen Zustand. -Sie machen noch alles wie immer? Rasieren Sie den Hauptmann noch?
Woyzeck: Ja.
Doktor: Isst du deine Erbsen?
Woyzeck: Ja, das meiste bekommt aber meine Frau.
Doktor: Tun Sie ihren Dienst?
Woyzeck: Ja.
Doktor: Du bist ein interessanter Fall. Ein Versuchskaninchen, Woyzeck. Du bekommest eine Zulage. Bleib so brav wie vorher, mach weiter, wie ich es dir sage. Zeig mir einmal, wie hoch dein Puls ist.
→ KiANSG; LiBNSG; CaGoNSG; LeKlNSG; CeKoNSG; PaScNSG; TiScNSG; FioStNSG; MarWeNSG
Woyzeck im Spannungsfeld der Gesellschaft
Aufgabenstellung: Recherchiert die historische, soziale und philosophische Situation in Deutschland zu Zeiten Büchners: Aufklärung, Vielstaaterei, Pauperismus, Büchners Vita uvm.
Die Informationen dienen als Grundlage für die Zusammenfassung der "traditionellen Ordnung". Erstellt mit ChatGPT:
Georg Büchner:
- Georg Büchner (1813-1837) war ein deutscher Schriftsteller, Mediziner und Revolutionär.
- Büchner gilt als einer der wichtigsten Vertreter des deutschen Vormärz und der literarischen Strömung des Realismus.
- Sein bekanntestes Werk ist das Drama "Woyzeck", das posthum veröffentlicht wurde.
Historische Situation in Deutschland zu Büchners Zeiten:
- Aufklärung: Die Aufklärung hatte bereits im 18. Jahrhundert in Deutschland begonnen und beeinflusste die Denkweise der Menschen, indem sie Rationalität, Freiheit und individuelle Rechte betonte.
- Revolutionen in Europa: Umsturzversuche gegen alte Monarchien; Bildung von Republiken
- Vielstaaterei: Deutschland war zu Büchners Zeiten in viele kleine Staaten zersplittert, was als "Vielstaaterei" bekannt ist. Diese politische Zersplitterung beeinflusste die politische Landschaft und die sozialen Verhältnisse.
- ungerechte Verteilungsprinzipien der restauratorischen Gesellschaft: Rückkehr zur Feudal-(Ständegesellschaft); Widerspruch von Arm und Reich.
- Pauperismus (Verelendung): Der Begriff bezieht sich auf die Armut und sozialen Probleme, die in der Bevölkerung weit verbreitet waren. Die Industrialisierung hatte weitreichende soziale Veränderungen zur Folge, darunter auch Armut und Elend in städtischen Gebieten (Übergang zur Industriegesellschaft: Entstehung von Fabriken und städtischen Ballungsgebieten).
Philosophische Situation:
- Idealismus und Romantik: In der Philosophie dominierten Idealismus und Romantik. Philosophen wie Hegel und Rousseau prägten das intellektuelle Klima mit Ideen über den Geist, die Freiheit und die Entwicklung der Geschichte. Diese Bewegungen betonten emotionale Echtheit, die Verbindung zur Natur und die Suche nach dem Absoluten und Unendlichen.
Büchners Vita:
- Georg Büchner wurde 1813 in Goddelau bei Darmstadt geboren.
- Er studierte Medizin, Geschichte und Philosophie in Straßburg und Gießen.
- Büchner beteiligte sich aktiv an politischen Bewegungen und engagierte sich für soziale Gerechtigkeit.
- Sein Leben endete früh; er starb 1837 im Alter von nur 23 Jahren an den Folgen einer Typhus-Erkrankung.
Pauperismus
Als Pauperismus beschreibt man die "massenhafte Verelendung" der Gesellschaft im 19. Jahrhundert als Folge der Industrialisierung. Dies zeigt sich in Hungersnot und Geldnot unter dem Volk. Ausgelöst wurde dies durch
- den Ersatz von Menschenkraft durch Maschinen (z.B. in der Textilindustrie: Spinnen, Weben, Färben)
- Ersatz von menschlicher Handwerkskunst durch einfache Arbeit an Maschinen
- in der Folge Preisverfall der Produkte.
- Zuwanderung der Menschen vom Land in die Stadt
- Kinderarbeit in den Fabriken
- in der Folge zum Lohndumping
- in Deutschland kam erschwerend die Abschaffung der Zünfte hinzu, weshalb die Handwerkergesellschaft überbesetzt wurde. Aus diesem Grund wurden weitere Arbeiter entlassen. Zu dieser Zeit wurde keine Lösung für den Pauperismus gefunden.
Woyzeck und Marie als „einfache“ Menschen:
- Woyzeck empfindet sich als so arm, dass er selbst im Himmel für seinen Unterhalt wird arbeiten müssen (Szene 5). Er hatte aber ein wenig geerbt.
Einkommen :
Woyzeck erhält einen (geringen) Soldatenlohn und zwei Groschen täglich für seine Teilnahme am Erbsenexperiment (Szene 8).
Marie erhält die Menage von Woyzeck (Szene 8); Geschenke vom Tambourmajor (z.B. Ohrringe; Szene 4); hat offenbar kein eigenes, geregeltes Einkommen.
Besitzstand:
- Marie: ein kaputter Mini-Spiegel (Szene 4); keinen Schmuck
- Woyzeck: kein eigenes Bett, teil sein Bett mit Andres (Szene 13). Eine Pistole ist zu teuer, er kauft ein Messer für zwei Groschen - einen Tageslohn (Szene 15)
- Woyzeck besitzt nur ein paar Gegenstände (Bibel, Kreuz, Ring, Heiligenbild, Herzen, Gold) davon sind drei geerbt (Szene 17)
Woyzecks Umfeld: Marie, Andres
Maries Wünsche:
- Wunsch nach materiellen Gütern, z.B. einen Spiegel oder Schmuck (Szene 4).
- Wunsch nach einem starken (Szene 6: „stark wie ein Löw“), attraktiven Mann (Szene 2: „Er steht auf seinen Füßen wie ein Löw.“), der mental stabil ist und Zeit für seine Familie hat. Eher kein Wunsch nach sexueller Erfüllung (Szene 6).
Woyzeck - ein eiskalter, psychopathischer Mörder?
Literarisch:
Hier kommen die Bewertungen rein.
Historisch: Das Clarusgutachten
Zum Vergleich
- persönlicher Hintergrund: gebildeter Mann der Mittelschicht, keine genetische Disposition bekannt, bis zum 18. Lebensjahr unauffälliges Leben: galt als ruhig, bescheiden, verständnisvoll (Z. 38ff.) - Vater eines unehelichen Kindes mit der Woostin (Z. 317)
- Z. 229ff.: sonderbare Träume, innere Stimmen, die z.B. ihn zur Tötung aufforderten (Z. 261).
- Zeugen konnten keine auffälligen Merkmale erkennen (Z. 229ff.), konnten z.B. Wahnvorstellungen/innere Stimmen nicht bestätigen.
- unzufrieden mit sich selber; bewertete sich selbst als keinen guten Menschen.
- ursprünglich an eine andere Frau versprochen: Wienbergin (Z.320ff). Bereut das Scheitern der Beziehung, nicht aber die Tötung der Woostin (Z. 314ff).
- Neigung zu eifersüchtiger Brutalität: gewalttätig der Woostin gegenüber ( Z. 243ff.);
- Eifersucht gegenüber Woostin, als sie mit einem Soldaten spazierengeht (Z. 291).
- keine Verhaltensauffälligkeiten während der Untersuchungshaft (Z. 250ff.)
- Hoher Alkoholkonsum (Z.160)
Zum Tatzeitpunkt war er obdachlos, hatte sich vierzehn Tage lang herumgetrieben und von Almosen der Bevölkerung gelebt. Zu diesem Zeitpunkt war er sprechunfähig und konnte nur noch schriftlich kommunizieren (Z.273ff.)
Büchners Woyzeck:
- keine Gewalttätigkeit vorher gegenüber Marie
- Erbsendiät
- keine zweite Geliebte bei Büchner, dafür mehr Eifersucht auf den Tambourmajor.
- gesellschaftlicher Stand - bei Büchner ist W. aus der Unterschicht, in der Historie nicht.
- W. Erkrankung ist bei Büchner präsent
=> gesellschaftliche Dramaturgie.
Helferfiguren: Hätte Andres das Verbrechen an Marie verhindern können?
Quellen:
Dronke, Ernst: Elendsviertel in Berlin 1846. In: EinFach Deutsch G. Büchner, Woyzeck; Schöningh 2009, S. 27
https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/revolution-1848-1849[1]
https://www.geschichte-abitur.de/deutschland-ein-flickenteppich[2]
https://www.geschichte-abitur.de/lexikon [3]
https://historia-europa.ep.eu/de [4]
http://www.helmutcaspar.de/aktuelles21/neugelesen21/dronke.htm
- ↑ https://www.bpb.de/themen/zeit-kulturgeschichte/revolution-1848-1849/517523/sozialgeschichte-mitte-des-19-jahrhunderts/ https://www.geschichte-abitur.de/deutschland-ein-flickenteppich https://www.geschichte-abitur.de/lexikon/uebersicht-industrielle-revolution/pauperismus#:~:text=Als%20“%20Pauperismus%20”%20wird%20die%20durch,vom%20Land%20in%20die%20Stadt. https://historia-europa.ep.eu/de/dauerausstellung/weltmacht-europa#:~:text=Das%2019.,Umbrüche%2C%20aber%20auch%20der%20Chancen.
- ↑ https://www.geschichte-abitur.de/deutschland-ein-flickenteppich
- ↑ https://www.geschichte-abitur.de/lexikon/uebersicht-industrielle-revolution/pauperismus#:~:text=Als%20“%20Pauperismus%20”%20wird%20die%20durch,vom%20Land%20in%20die%20Stadt.
- ↑ https://historia-europa.ep.eu/de/dauerausstellung/weltmacht-europa#:~:text=Das%2019.,Umbrüche%2C%20aber%20auch%20der%20Chancen.