Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Lyrik im thematischen Längsschnitt/Rebellion - ein Lyrikprojekt der Jahrgangsstufe 10

Aus ZUM Projektwiki

Bertolt Brecht: Über das Zerpflücken von Gedichten (ca. 1935): Der Laie hat für gewöhnlich, sofern er ein Liebhaber von Gedichten ist, einen lebhaften Widerwillen gegen das, was man das Zerpflücken von Gedichten nennt, ein Heranführen kalter Logik, Herausreißen von Wörtern und Bildern aus diesen zarten blütenhaften Gebilden. Demgegenüber muss gesagt werden, daß nicht einmal Blumen welken, wenn man in sie hineinsticht. Gedichte sind, wenn sie überhaupt lebensfähig sind, ganz besonders lebensfähig und können die eingreifendsten Operationen überstehen. [...] Der Laie vergißt, wenn er Gedichte für unnahbar hält, daß der Lyriker zwar mit ihm jene leichten Stimmungen, die er haben kann, teilen mag, daß aber ihre Formulierung in einem Gedicht ein Arbeitsvorgang ist und das Gedicht eben etwas zum Verweilen gebrachtes Flüchtiges ist, also etwas verhältnismäßig Massives, Materielles. Wer das Gedicht für unnahbar hält, kommt ihm nicht wirklich nahe. In der Anwendung von Kriterien liegt ein Hauptteil des Genusses. Zerpflücke eine Rose und jedes Blatt ist schön.[1]


Gedichtauswahl

Arbeitsauftrag
Wähle zwei Gedichte aus, die du interpretieren willst.


Heinrich Heine: Die schlesischen Weber (1844)

Im düstern Auge keine Thräne,

Sie sitzen am Webstuhl und fletschen die Zähne:

Deutschland, wir weben Dein Leichentuch,

Wir weben hinein den dreifachen Fluch –

    Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem Gotte, zu dem wir gebeten

In Winterskälte und Hungersnöthen;

Wir haben vergebens gehofft und geharrt,

Er hat uns geäfft und gefoppt und genarrt –

    Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem König, dem König der Reichen,

Den unser Elend nicht konnte erweichen,

Der den letzten Groschen von uns erpreßt,

Und uns wie Hunde erschießen läßt –

    Wir weben, wir weben!

Ein Fluch dem falschen Vaterlande,

Wo nur gedeihen Schmach und Schande,

Wo jede Blume früh geknickt,

Wo Fäulniß und Moder den Wurm erquickt –

    Wir weben, wir weben!

Das Schiffchen fliegt, der Webstuhl kracht,

Wir weben emsig Tag und Nacht –

Altdeutschland, wir weben Dein Leichentuch,

Wir weben hinein den dreifachen Fluch,

    Wir weben, wir weben!


H. Heine: „Die armen Weber“. In: Karl Marx’ Vorwärts! 10. Juli 1844.

https://de.wikipedia.org/wiki/Die_schlesischen_Weber[1]


Ernst Jandl: My own song (1966)

my own song

ich will nicht sein

so wie ihr mich wollt

ich will nicht ihr sein

so wie ihr mich wollt

ich will nicht sein wie ihr

so wie ihr mich wollt

ich will nicht sein wie ihr seid

so wie ihr mich wollt

ich will nicht sein wie ihr sein wollt

so wie ihr mich wollt

nicht wie ihr mich wollt

wie ich sein will will ich sein

nicht wie ihr mich wollt

wie ich bin will ich sein

nicht wie ihr mich wollt

wie ich will ich sein

nicht wie ihr mich wollt

ich will ich sein

nicht wie ihr mich wollt will ich sein

ich will sein.


aus: Ernst Jandl: poetische werke 8. Luchterhand Verlag, München 1997

http://www.planetlyrik.de/lyrikkalender/ernst-jandls-gedicht-my-own-song/[2]

Udo Jürgens: Das ehrenwerte Haus (1974)

in diesem mietshaus wohnen wir seit einem jahr und sind hier wohlbekannt

doch stell dir vor, was ich soeben unter unsrer haustür fand

es ist ein brief von unsern nachbarn, darin steht, wir müssen raus!

sie meinen du und ich wir passen nicht, in dieses ehrenwerte haus

weil wir als paar zusammen leben und noch immer ohne trauschein sind

hat man sich gestern hier getroffen und dann hat man abgestimmt

und die gemeinschaft aller mieter schreibt uns nun „ziehen sie hier aus!“

(hey, hey, hey)

denn eine wilde ehe, das passt nicht in dieses ehrenwerte haus

es haben alle unterschrieben; schau dir mal die lange liste an

die frau von nebenan, die ihre lügen nie für sich behalten kann

und die vom erdgeschoss, tagtäglich spioniert sie jeden aus

auch dieser kerl, der seine tochter schlägt, spricht für dies' ehrenwerte haus

und dann die dicke, die den hund verwöhnt, jedoch ihr eigenes kind vergisst

der alte, der uns stets erklärt, was hier im haus verboten ist

und der vom ersten stock, er schaut die ganze zeit zum fenster raus

(hey, hey, hey)

und er zeigt jeden an, der mal falsch parkt, vor diesem ehrenwerten haus

der graue don juan, der starrt dich jedes mal im aufzug schamlos an

die witwe, die verhindert hat, dass hier ein schwarzer einziehen kann

auch die von oben, wenn der gasmann kommt, zieht sie den schlafrock aus

sie alle schämen sich für uns, denn dies ist ja ein ehrenwertes haus

wenn du mich fragst, diese heuchelei halt' ich nicht länger aus

wir packen unsere sieben sachen und ziehen fort aus diesem ehrenwerten haus


Quelle: LyricFind

Songwriter: Michael Kunze / Udo Juergens

Songtext von Ein ehrenwertes Haus © BMG Rights Management

https://de.wikipedia.org/wiki/Ein_ehrenwertes_Haus_(Lied)[3]

Karat: Über sieben Brücken musst du gehen (1979)

Manchmal geh ich meine Straße ohne Blick

Manchmal wünsch ich mir mein Schaukelpferd zurück

Manchmal bin ich ohne Rast und Ruh

Manchmal schließ ich alle Türen nach mir zu

Manchmal ist mir kalt und manchmal heiß

Manchmal weiß ich nicht mehr was ich weiß

Machmal bin ich schon am Morgen müd

Manchmal such ich Trost in einem Lied

Über sieben Brücken musst du gehen

Sieben dunkle Jahre überstehn

Sieben Mal wirst du die Asche sein

Aber einmal auch der helle Schein

Manchmal scheint die Uhr des Lebens still zu stehn

Manchmal scheint man nur im Kreis zu gehen

Manchmal ist man wie von Fernweh krank

Manchmal sitzt man still auf einer Bank

Manchmal greift man nach der ganzen Welt

Manchmal meint man dass der Glücksstern fällt

Manchmal nimmt man wo man lieber gibt

Manchmal hasst man das was man doch liebt

Über sieben Brücken musst du gehen

Sieben dunkle Jahre überstehn

Sieben Mal wirst du die Asche sein

Aber einmal auch der helle Schein

Über sieben Brücken musst du gehen

Sieben dunkle Jahre überstehn

Sieben Mal wirst du die Asche sein

Aber einmal auch der helle Schein


(Version 2003) Quelle: Musixmatch[1]

Songwriter: Ulrich Swillms

https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cber_sieben_Br%C3%BCcken[4]

Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Lyrik im thematischen Längsschnitt/Karat: Über sieben Brücken musst du gehn[5]

Emma Döltz: Hoffnung (1910)

Geh’ ich abends durch die lauten Straßen,

Schleicht die graue Sorge mir zur Seit’:

Zeigt mir, mit den gichtgekrümmten Fingern,

Meiner Brüder, meiner Schwestern Leid, –

Haucht, mit ihrem giftgetränktem Atem

Den Vorübergeh’nden ins Gesicht, –

Zeigt mir Furchen in den Kinderstirnen

Und wie früh sie junge Körper bricht ...

Tret’ ich ein in die Versammlungshalle,

Bleibt die graue Sorge draußen stehn,

Denn sie wagt es nicht in so viel frohe,

Hoffnungsstarke Augen g’rad zu sehn.

Schreit’ ich nachts dann durch die stillen Straßen,

Geht die junge Hoffnung mir zur Seit’,

Und nur fern, in dunkler Häuser Schatten

Flattert scheu der Sorge graues Kleid.

aus: E. Döltz: Die Neue Welt. Illustriertes Unterhaltungsblatt. Hamburg 1909, Nr. 31, S. 246.[6]Linkadresse zu diesem Gedicht: www.lyrikmond.de/gedichte-thema-11-129.php#2702

Annemarie Bergmeister: Aus der Kurstadt-Chronik

Annemone von Berg: Vertreibung aus dem Paradies

Veronika Bauer: Muttertag

Martina Sens: der schrei nach führung

Samira Schogofa: Das war‘s dann