Wendepunkte des 20. Jahrhunderts/Novemberrevolution 1918
Novemberrevolution
Autorin: AK
Die Novemberrevolution 1918/1919 beginnt am Ende des ersten Weltkriegs und führt den Zerfall des monarchischen Obrigkeitsstaats (dem deutschen Kaiserreich) und die Umwandlung in eine parlamentarische Republik, die Weimarer Republik, herbei. Die Revolution geht „von oben“ (also von den Herrschenden) aus, da die Regierung eine Revolution „von unten“ bzw. eine sozialistische verhindern will.
Am 09. November 1918: Philipp Scheidemann ruft die Republik vom Balkon des Reichstags aus, Erich Greifer, Scanvorlage ist eine Postkarte, ca. 1918/19, Sammlung Superikonoskop, Lizenz: gemeinfrei, via Wikipedia Commons.
Rückblick: das Ende des Ersten Weltkriegs
Es ist das Jahr 1918. Ende September geben deutsche Militärs den Krieg als verloren. Zahlreiche Menschen ließen ihr Leben in dem bis dahin größten und folgenreichsten Krieg. Hunger, Verlust und Enttäuschung über die militärische Niederlage prägen die Menschen und führen zu wachsenden demokratischen und sozialistischen Tendenzen, wie sie in Russland bereits Fuß gefasst hatten. Anfang Oktober finden erste Vorgespräche über einen Waffenstillstand des Deutschen Kaiserreichs mit den Entente-Staaten statt. Jedoch trifft die deutsche Seekriegsleitung am 24. Oktober die Entscheidung eines letzten „ehrenvollen“ Gefechts gegen die britische Flotte. Noch bevor dieser Flottenbefehl ausgeführt werden kann, starten die kriegsmüden Matrosen eine Meuterei in Wilhelmshaven und Kiel: den Matrosenaufstand. Diese Revolte markiert den Beginn der Novemberrevolution.
Chronologie der Geschehnisse
Der Matrosenaufstand weitet sich innerhalb weniger Tage auf ganz Deutschland aus. Vom 28. Oktober - dem Beginn des Aufstands - bis zum 04. November schließen sich den Matrosen und Soldaten auch Arbeiter an, welche zu einer tragenden Kraft der Revolte werden. Dieser Aufstand mündet in der Bildung sog. Arbeiter- und Soldatenräte. Diese haben die Abdankung des Kaisers Wilhelm II., Frieden und die Umwandlung des Deutschen Reichs in eine demokratische Republik zum Ziel.
Am 07. November wird die Bayrische Republik gewaltlos von den dortigen Arbeiter- und Soldatenräten proklamiert. Die Monarchie beginnt zu zerfallen, neben Bayern müssen immer mehr Fürsten ihrem Thron entsagen.
Der 09. November stellt einen der entscheidendsten Tage der Novemberrevolution dar: Es finden drei wichtige Ereignisse statt, die für den Verlauf der Revolution maßgeblich sind.
- Der Reichskanzler Max von Baden gibt eigenmächtig die Abdankung des Kaisers bekannt, um die Revoltierenden zu beruhigen. Sein eigenes Amt übergibt er verfassungswidrig dem MSPD-Chef Friedrich Ebert. Indem sich die SPD-Führung an die Spitze der revolutionären Bewegen setzt, will sie ein ein Blutvergießen durch die Regierungsumbildung vermeiden.
- Am gleichen Tag ziehen hunderttausende Arbeiter in Demonstrationszügen durch Berlin. Sie demonstrierten für Frieden, das Ende der Monarchie und eine umfassende Neuordnung der politischen Verhältnisse
- Das wohl wichtigste Ereignis des Tages geschieht um 14 Uhr an einem Fenster des Reichstages. Dort ruft Philipp Scheidemann, Mitglied der MSPD (Mehrheits-SPD), die Republik aus. Dieser symbolische Akt dient nicht nur dem Brechen des alten Regimes, sondern soll auch die wachsende Revolution eindämmen. Zudem wollte Scheidemann Karl Liebknecht (KPD) zuvorkommen, welcher die „freie sozialistische Republik Deutschland“ proklamieren will. Diese doppelte Ausrufung bringt die zunehmende Polarisierung der Revolutionsbewegung zum Ausdruck.
Der zweite ausschlaggebende Tag der Revolution ist der 10. November. Die Arbeiter- und Soldatenräte übernehmen die städtische Verwaltung nach der Parole „Wir sind das Volk“. Des Weiteren bilden die MSPD und USPD (Unabhängige SPD) den Rat der Volksbeauftragten. Den gleichberechtigten Vorsitz haben Friedrich Ebert und Hugo Haase inne.
Die MSPD sieht eine Reform anstatt einer Revolution und einen geordneten Übergang für die neue Regierung vor. Die Arbeiter- und Soldatenräte verlangen eine Revolution anstatt einer Reform und orientieren sich für ihre Regierung am Kommunismus bzw. Sozialismus, wie er bereits in Russland vorzufinden ist.
Bei der demokratischen Regierungsform liegt die Souveränität beim gesamten Staatsvolk. Die Räte sind ihren Wählern gegenüber direkt verantwortlich und können im Gegensatz zum parlamentarischen System jederzeit abgesetzt werden.
Parlamentarische Demokratie (MSPD) | Räteherrschaft (Arbeiter- & Soldatenräte, USPD) |
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Zusätzlich erklärt General Wilhelm Groener im Namen der Obersten Heeresleitung (OHL) die Loyalität gegenüber der neuen Regierung. Durch den Ebert-Groener-Pakt bietet die OHL der MSPD militärische Unterstützung gegen linksradikale Angriffe, im Gegenzug wird der militärischen Führung Autonomie garantiert. Dadurch symbolisiert das Militär einen entscheidenden Machtfaktor.
Am 23. Dezember setzen Soldaten einer bewaffneten Formation, der sog. „Volksmarinedivision“, die Regierung in den Berliner Weihnachtskämpfen fest. Ebert muss reguläre Truppen um militärische Hilfe bitten. Emil Eichhorn, Polizeichef und Mitglied des linken Flügels der USPD, hilft der Volksmarinedivision und trägt somit entscheidend zur Niederlage der Regierungstruppen bei.
Die USPD verlässt am 28. Dezember den Rat der Volksbeauftragten als Reaktion auf das Bündnis der MSPD mit dem Militär und aufgrund erheblicher Differenzen über den politischen Kurs der Regierung. Als weitere Folge der Weihnachtskämpfe wird Emil Eichhorn entlassen. Revolutionäre Obleute fordern die USPD und die neu gegründete Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) zu einer Protestdemonstration auf. Aufgrund der hohen Teilnehmerzahlen entschließen radikale Kräfte der Initiatoren den Protest zu einem bewaffneten Aufstand auszuweiten. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg (KPD) rufen zum gewaltvollen Sturz der Regierung auf.
Vom 05. bis zum 12. Januar 1919 besetzen die Revolutionäre Berlin in Teilen und erklären die Regierung für abgesetzt. Der Aufstand ist der letzte Versuch der extremen Linken, die Wahl zur Nationalversammlung zu verhindern und eine Rätediktatur (vgl. Räteherrschaft) zu errichten. Doch der Aufstand ist spontan und strategisch unzureichend geplant. Die blutigen Kämpfe prägen das Bild der Revolution und ersetzen in weiten Teilen der Bevölkerung die friedliche Stimmung durch Schreckensszenarien, vergleichbar mit der russischen Oktoberrevolution und dem Bolschewismus.
Die Revolution endet am 19. Januar 1919, als die neue Nationalversammlung in Weimar eröffnet und die neue Republik eine parlamentarische Demokratie wird.
Einfluss der russischen Revolution
Die russische Oktoberrevolution 1917 stellt einen historischen Wendepunkt dar. Zum Ende des ersten Weltkriegs zeigt sich in der Bevölkerung immer mehr Widerstand gegen den Krieg und das kriegsbewilligende, zaristische Unterdrückungsregime. In der Februarrevolution 1917 stürzt Zar Nikolaus II. und eine Doppelherrschaft zwischen provisorischer Regierung und einem zentralen Arbeiter- und Soldatenrat wird eingeführt. Die neue Regierung setzt dennoch die Kriegsführung fort, was auf Unzufriedenheit in der Bevölkerung trifft.
Die kommunistischen Bolschewiki mit Lenin als Parteiführer befürworten eine Revolution und wollen den Weltkrieg zu einem russischen Bürgerkrieg machen. Dadurch entsteht eine Interessenkonvergenz zwischen Lenin und der deutschen Regierung: eine militärische Niederlage und Destabilisierung Russlands.
Zu Beginn werden die Bolschewiki als Friedenspartei wahrgenommen, was für die anfänglich positive Einschätzung der Oktoberrevolution maßgeblich ist. Das vorausgegangene Zaren-Regime ruft ein negativeres Bild hervor, weshalb dieser durch die Bolschewiki geplante Umbruch so positiv aufgefasst wird. Der Befreiungskampf der Arbeiterschaft und der bürgerliche Charakter der Revolution wecken Sympathie im deutschen Volk und der demokratische Sinn der russischen Bevölkerung wird gefeiert. Die deutsche Arbeiterklasse befürwortet den großen Schritt zum Frieden, den die russische Revolution getan hat, denn auch in Deutschland streben die Menschen nach Demokratie und viele finden Gefallen an sozialistischen Ideen und Konzepten: Revolutionäre Tatkraft erwacht nun auch in der deutschen Arbeiterklasse. Die Demokratie ist durch den Sieg der russischen Revolution an die Macht gelangt und auch die USPD vertritt das Konzept des Sozialismus durch Demokratie und strebt deshalb nach einem Rätekonzept.
Als die Bolschewiki nach dem Sturz der provisorischen Regierung und dem Umstellen des Winterpalast im Oktober in der verfassungsgebenden Versammlung nur 25% der Stimmen für sich gewinnen konnten, lösen sie die Versammlung gewaltvoll auf. Das Land steht fortan unter der bolschewistischen Diktatur und ein langer und blutiger Bürgerkrieg folgt.
Ab dann zeichnet sich ein anderes Wahrnehmungsbild in der deutschen Bevölkerung gegenüber der Oktoberrevolution ab: Während die MSPD den Sturz des Zaren noch als Erfolg ihrer Kriegspolitik erachtet hat, lehnt sie die Oktoberrevolution nun ab. Die USPD betrachtete diese zunächst (vor der Ausartung in den Bürgerkrieg und der Diktatur der Bolschewiki) als positiv. Sie sieht darin die Bereitschaft zum Beitritt in die Kommunistische Internationale. Doch noch während der Diktatur änderte sich dies. Karl Kautsky schreibt:
„Wir verstehen unter dem modernen Sozialismus nicht bloß gesellschaftliche Organisierung der Produktion, sondern auch demokratische Organisierung der Gesellschaft. Der Sozialismus ist demnach für uns untrennbar verbunden mit der Demokratie“.[1]
- ↑ Karl Kautsky: Die Diktatur des Proletariats, 1918
Rosa Luxemburg
Rosa Luxemburg, Mitbegründerin der KPD, 1915, unbekannter Fotograf, Bundesarchiv, Bild 183-14077-006, Lizenz: CC BY-SA 3.0, via Wikipedia Commons.
Rosa Luxemburg wird als eine Märtyrerin der deutschen Novemberrevolution angesehen und ist für ihr demokratisch-soziales Denken und Handeln bekannt. Gemeinsam mit Karl Liebknecht vertritt sie in der SPD eine internationalistische und anti-militärische Position.
Nachdem sie 1914 aufgrund ihrer Antikriegsreden inhaftiert wurde, gründet sie 1916 gemeinsam mit Karl Liebknecht die Spartakusgruppe, welche in der Novemberrevolution sozialistische Ansichten vertritt. Von 1916 bis 1918 ist sie erneut im Gefängnis und beobachtet die Revolution von dort aus. Zur Jahreswende 1918/1919 gründen sie und Liebknecht die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), welche Anfang des Jahres zum Sturz der Regierung aufruft. Ende Januar werden beide aufgrund ihrer politischen Einstellungen und ihrem Streben nach einem Umbruch von Mitglieder eines sog. Freikorps - einer paramilitärischen Einheit - ermordet. Ihre Ermordung und das Scheitern radikalisiert einen erheblichen Teil der Arbeiter, die sich von der Politik der SPD verraten fühlen.
Rosa Luxemburg sinnt nach politischer Freiheit und sozialer Gleichheit, weshalb sie der russischen Revolution hoffnungsvoll gegenüber steht. Als die Bolschewiki die Machtübernahme gewaltvoll erzwingen, kritisiert sie deren Politik: Die Diktatur der Bolschewiki diskreditiere die sozialistischen Ideen grausam.
Luxemburg versteht den Sozialismus als Art der Verwendung der Demokratie und nicht dessen Abschaffung. Er sei eine „Diktatur des Proletariats“, frei von Ausbeutung, Unterdrückung und Entwürdigung. Die Mehrheit der Unterprivilegierten solle diese Form des menschlichen Lebens ohne Krieg tragen. Denn der Sozialismus bedingt Freiheit und Demokratie. Ihre Ansätze finden auch heute noch Anschluss.
Literatur
- Lehnert, Detlef: Die Oktoberrevolution in der Wahrnehmung der deutschen Sozialdemokratie, veröffentlicht in: Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung, online verfügbar bei der Bundesstiftung Aufarbeitung, 2017 (20.03.2020)
- musstewissen2go Geschichte: Novemberrevolution, Youtube, 01.03.2018 (19.03.2020)
- Rosa Luxemburg Stiftung: Rosa Luxemburg Stiftung (21.03.2020)
- Scriba, Arnulf: Die Revolution von 1918/19, DHM LeMO, 15.08.2015, (19.03.2020)
- Wikipedia: Beteiligte am Ersten Weltkrieg, Wikipedia, letzte Änderung: 29.03.2020 (21.03.2020)
- Karl Kautsky: Die Diktatur des Proletariats, 1918