Wendepunkte des 20. Jahrhunderts/Niederlage Befreiung

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1945 – Niederlage oder Befreiung?

Am 8. Mai 1945 kapitulierte die deutsche Wehrmacht widerstandslos und der Zweite Weltkrieg endete in Europa. Das Kriegsende hatte sowohl positive als auch negative Auswirkungen auf die Lebenssituation und die Denkweise der Menschen in Deutschland. Rückblickend stellt sich die Frage, ob der 8. Mai als Niederlage oder als Befreiung gesehen werden kann. Eine mögliche Beurteilung erfolgte in einer Rede von Richard von Weizsäcker zum 40. Jahrestag des Endes des Krieges, während der Gedenkveranstaltung im Plenarsaal des Deutschen Bundestags.


1.) Auswirkungen des Kriegsendes in Deutschland
a. Negative Auswirkungen auf die Lebenssituation

Mit dem Ende des Krieges im Jahr 1945 begann für die deutsche Bevölkerung eine Zeit der Orientierungslosigkeit und Ungewissheit. Die deutsche Bevölkerung war von einer Diktatur geprägt, die über ein Jahrzehnt regierte. Es gab durch das Ende des Krieges keine politische Ordnung mehr. Hinzu kam die Angst vor den Siegermächten, die der fehlenden Struktur allmählich durch Regeln zur Ordnung verhalfen. Dies hieß jedoch nicht, dass die Menschen in Deutschland dadurch in Frieden leben konnten. Vor allem die Angst vor der roten Armee verursachte eine große Flüchtlingswelle vom Osten in den Westen. Dies verschlimmerte die Wohnungssituation enorm, da zusätzlich fast jede zweite Wohnung im Krieg zerbombt wurde. Insgesamt waren 14.000 Flüchtlinge auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Familien mit Wohnungen wurden gezwungen ihr Zuhause mit einer Flüchtlingsfamilie zuteilen.

Zusätzlich kamen die Reparationsforderungen der Alliierten. Hierbei handelte es sich nicht nur um Geld, sondern vor allem um Materialien zum Wiederaufbau des eigenen, durch den Krieg zerstörten, Landes. Viele Frauen arbeiteten als sogenannte „Trümmerfrauen“, um die Städte von dem Schutt zu befreien. Es waren vor allem Frauen, da die meisten Männer entweder noch nicht zurückgekehrt, noch in Gefangenschaft oder im Krieg gefallen waren. Sie bekamen keinen Lohn oder irgendeine andere Art von Gegenleistung. Aus diesem Grund wuchs die Verzweiflung von Tag zu Tag, da ein enormer Nahrungsmangel herrschte und Lebensmittel nur noch in eingeteilten Rationen ausgegeben wurde.

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Trümmerfrauen beim Ziegelputzen, Lizenz: CC BY-SA 3.0, via [Wikimedia Commens]


b. Positive Auswirkungen auf die Lebenssituation

Die positiven Auswirkungen waren, dass die Menschen nicht mehr unter der Angst des Krieges lebten, der sich in jeder deutschen Stadt abspielte. Außerdem wurde den politisch vom NS-Regime Verfolgten ein Leben zurückgegeben, da sie vor weiterer Verfolgung verschont blieben oder aus den Konzentrationslagern befreit wurden. Diese Menschen konnten nun zu ihren Angehörigen zurückkehren. Sie waren jedoch für den Rest ihres Lebens geprägt und verfolgt von sowohl psychischen, als auch physischen Schäden.

c. Auswirkungen auf die ideologische Situation

Durch die nun neu entstehende Meinungsfreiheit und das plötzlich erforderte Umdenken wurde den Menschen bewusst, wofür sie gekämpft haben. Viele hatten sich blenden lassen von der Propaganda des NS-Regimes oder hatten die Grausamkeit gesehen, aber dennoch verdrängt. Nun wurde ihnen jedoch, unter anderem auch durch das Heimkehren der Inhaftierten aus den Konzentrationslagern, bewusst wofür sie gekämpft und gelebt hatten. Viele wurden innerlich gespalten durch die Frage nach der Schuld.


2.) Rede von Richard von Weizsäcker am 40. Jahrestag

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Bundespräsident Richard von Weizsäcker, 1984, Bundesarchiv, Lizenz: CC BY-SA 3.0, via [Wikimedia Commens]

a. Zusammenfassung

Am 8. Mai 1985 hält der damalige Präsident Richard von Weizsäcker anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegendes eine Rede im Plenarsaal des Deutschen Bundestags in Berlin. Richard von Weizsäcker geht in dieser unter anderem auf das Gedenken an die Zeit und Menschen, die leiden mussten, die Frage nach der Schuld, die Aufgaben der unterschiedlichen Generationen, und die Frage, ob der 8. Mai eine Niederlage oder eine Befreiung war, ein.

Weizsäcker sagt, dass der 8. Mai ein Tag zum Gedenken ist und spricht über die individuellen Erinnerungen und Emotionen der Deutschen beim Ende des Krieges. Besonders deutlich werden hierbei die Verwirrung und Orientierungslosigkeit der Menschen mit Blick auf die Zukunft. Dennoch ist er sich sicher, dass der 8. Mai rückblickend als Befreiung aus den Irrwegen des NS-Regimes zu sehen ist.

Der Präsident fordert auf, des Leids der Menschen, die im Krieg starben und auch dessen der Überlebenden zu gedenken. Besonders die Frauen hebt er hervor. Er sagt es sei ihnen zu verdanken, dass zeitnah mit dem Wiederaufbau begonnen wurde. „Ihr Leiden, ihre Entsagung und ihre stille Kraft vergißt die Weltgeschichte nur allzu leicht.“

Er stellt die Frage der Schuld. Niemand kann sagen, er habe die Gräueltaten, die den Juden angetan wurden, nicht bemerkt. Die Schuld, die jede*r Einzelne trägt, ist jedoch etwas Individuelles. „Schuld oder Unschuld eines ganzen Volkes gibt es nicht. Schuld ist, wie Unschuld, nicht kollektiv, sondern persönlich. […] Jeder, der die Zeit mit vollem Bewußtsein erlebt hat, frage sich heute im Stillen selbst nach seiner Verstrickung.“ Die Generationen, die folgten seien von dieser Schuld nicht betroffen, sagt Weizsäcker. Sie hätten jedoch die Verantwortung, mit der Geschichte gewissenhaft umzugehen. „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart. Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“

Anschließend erklärt Weizsäcker, wie es zum Krieg kam und welche entscheidenden Rollen vor allem auch die Sowjetunion hatte. Dadurch werde die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges jedoch nicht verringert. „Die Sowjetunion nahm den Krieg anderer Völker in Kauf, um sich am Ertrag zu beteiligen. Die Initiative zum Krieg aber ging von Deutschland aus, nicht von der Sowjetunion.“, so Weizsäcker.

Nach dem Ende des Krieges seien die Schicksale willkürlich gewesen, sagt Weizsäcker. Einige konnten heimkehren, andere wurden heimatlos. Dieses Leid ihrer Mitmenschen zu erkennen, sei eine gewaltige Überwindung für die Menschen gewesen, vor allem für die Bevölkerungen der Siegermächte. Dieses Vertrauen konnte erst wiederaufgebaut werden, indem klar wurde, dass Gewalt keine Lösung mehr war. Durch die Flüchtlingswelle, die ausgelöst worden war, mussten zwangsweise viele Großeltern und Eltern aus ihrer Heimat in ein neues Zuhause flüchten. Dieses Zuhause wurde nun die Heimat der neuen Generation. Dazu sagte Weizsäcker weiterhin: „Heimatliebe eines Vertriebenen ist kein Revanchismus.“

Das Ende des Krieges hatte zudem auch die positive Folge, dass die einstigen Gegner wie Frankreich und Deutschland nun in einen Austausch kamen und einen stabilen Frieden aufbauen konnten. „Es gab keine ´ Stunde Null´, aber wir hatten die Chance zu einem Neubeginn.“ Deutschland konnte sich entwickeln und bietet seinen Bürgen nun umso mehr eine friedenssichernde Sicherheit und freien Schutz der Menschenwürde.

Weizsäcker sagt, dass „die Menschen in Deutschland […] gemeinsam einen Frieden [wollen], der Gerechtigkeit und Menschenrecht für alle Völker einschließt, auch für das unsrige.“ Außerdem geht er auf die Verbundenheit Deutschlands ein, da die Mauer Deutschland noch trennt. „Wir Deutschen sind ein Volk und eine Nation. Wir fühlen uns zusammengehörig, weil wir dieselbe Geschichte durchlebt haben.“

Es ist wichtig die jüngere Generation mit der Geschichte vertraut zu machen, sagt Weizsäcker, auch nach 40 Jahren noch. Er fordert die jungen Menschen auf „sich nicht […] in Feindschaft und Haß [hineintreiben treiben zu lassen]. […] Lernen Sie, miteinander zu leben, nicht gegeneinander.“

b. Fazit

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Weizsäcker die Schuld nicht pauschal bei den Deutschen sucht, sondern jede*r der Zeitzeug*innen aufgefordert ist, sich die Schuldfrage individuell zustellen. Die neue Generation, sagt er, hat keine Schuld, aber die Aufgabe die Vergangenheit nicht in Vergessenheit geraten zulassen, sodass sich die Geschichte nicht wiederholt, ist Aufgabe jedes einzelnen. Zudem stellt er fest, dass er den 8. Mai als einen Tag der Befreiung sieht, und nicht als Niederlage. Die Niederlage ist der Tag an dem Hitler an die Macht kam, da die negativen Folgen des Krieges nicht den Ursprung im Ende des Krieges finden, sondern im Anfang.


Alle Zitate verwendet in 2.a sind aus der Rede von Richard von Weizsäcker entnommen, gehalten am 8. Mai 1985 im Plenarsaal des Deutschen Bundestags. Als Quelle diente hierzu die veröffentliche Rede auf der offiziellen Web-Site des Bundespräsidenten.

Die vollständige, originale Rede ist auf der Web-Site des [Bundespräsidenten] zu finden.

Relevanz für die heutige Zeit

Autor: JG

Der Artikel und die Frage der Niederlage oder Befreiung ist bis heute noch äußerst relevant. Denn wie bereits im Text erwähnt ist der zweite Weltkrieg und dessen Gräueltaten in keinster Weise unsere Schuld. Allerdings stehen wir als Deutsche Bürger und großteilige Nachfahren der Verantwortlichen in der Verantwortung des Erinnerns und der Pflicht das Geschehene nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Sodass so etwas nie wieder passiert, denn die Geschichte kann man nicht verändern aber man muss aus ihr lernen. Und gerade heutzutage wo es wieder immer mehr rechte Bewegungen, nationalistische Gedanken und Rassismus gibt; muss man vorsichtig sein und sich an das Geschehene erinnern, sodass es nie wieder so weit kommen kann.

Quellen

a. Internetseiten

  • Autor unbekannt, Zeitklicks, recherchiert am: 23.03.2020.
  • Diedirch, Oliver, Ausschwitz: „Das Schrecklichste, was ich je sah“, 27.01.2020, NDR, recherchiert am: 22.03.2020.
  • Grau, Andreas/Haunhorst, Regina/Würz, Markus: Nachkriegsjahre, in: Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, Lebendiges Museum Online, recherchiert am: 25.03.2020.


b. Videos

  • Autor(en) unbekannt, Momente der Geschichte, ZDF, recherchiert am 22.03.2020.
  • Autor unbekannt, Niederlage und Befreiung, 06.10.11, ZDF, recherchiert am: 22.03.2020.
  • Mühlen, Irmgard von zu, Die Befreiung von Ausschwitz, Vimeo, recherchiert am 22.03.2020.


c. Bücher

  • Müller, Helmut, Karl Friedrich Krieger, Hanna Vollrath, Schlaglichter der deutschen Geschichte, Mannheim; Wien; Zürich: Meyers Lexikonverlag, 1986.
  • Weizsäcker, Richard von, Vier Zeiten Erinnerungen, Berlin: Siedler Verlag, 1997.