Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Wie interpretiere ich ein Gedicht?/Das Metrum

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Das metrische Schema

Das metrische Schema, auch Metrum genannt, bezeichnet die gleichbleibende Abfolge von betonten und unbetonten Silben z.B. in einem Gedicht. Es wird anhand der Wortsilben bestimmt. Die kleinste Einheit des Metrums ist der Takt oder auch Versfuß genannt: Er meint eine Einheit von zwei oder drei Silben, von denen eine betont ist.

Die verschiedenen Versfüße haben – aus der Antike abgeleitete - Namen:

Jambus:    Versfuß aus unbetonter und betonter Silbe.

Trochäus:    Versfuß aus betonter und unbetonter Silbe.

Daktylus:    Versfuß aus einer betonten und zwei unbetonten Silben.

Anapäst:    Versfuß aus zwei unbetonten und einer betonten Silben.

Das häufigste Versmaß ist der Jambus, entsprechend der Anzahl an vorhandenen Hebungen pro Vers spricht man z.B. von einem 5-hebigen Jambus, oder allgemein von einem „jambischen“ Vers.

Lässt sich kein regelmäßiges Metrum erkennen, so spricht man von freien Rhythmen und verweist (in der Gedichtanalyse) ggf. auf die Anzahl der Hebungen (betonten Silben) im Vers.

Die metrische Form des Versschlusses nennt man Kadenz. Sie wird in der Regel vom Reim bestimmt.  Man unterscheidet folgende Kadenzen:

Stumpfe Kadenz:        Flut – Glut (einsilbiges Reimwort)

Klingende Kadenz:     Ferne – Sterne (zweisilbiges Reimwort)

Gleitende oder reiche Kadenz:     klingenden – singenden (dreisilbiges Reimwort).

Während noch im 19. Jh. die Erfüllung eines antiken metrischen Schemas als hohe Kunst der Lyrik geschätzt wurde, empfanden die Lyriker der folgenden Generationen das Metrum zusehends als ein „Korsett“ ihres künstlerischen Entfaltungswillens. Wer heute noch in antiker Metrik dichtet, der trifft damit eine Aussage, die bei der Interpretation nicht unbeachtet bleiben darf (z.B. inhaltliche Anspielung auf ältere Vorlagen, Satire etc.).

Aspekte der Interpretation

Jedem Metrum wird ein bestimmter Effekt zugesprochen, der – nach Feststellung des Metrums – am Inhalt des Gedichtes überprüft werden muss. Der Jambus gilt als eher weich, oft munter, da er einen energieerzeugenden Auftakt enthält, der Trochäus (als seine Umkehrung) hingegen wirkt eher schleppend, abschließend, manchmal auch majestätisch schreitend. Ähnliches gilt für den Daktylus und seine Umkehrung (Anapäst), die aber beide aufgrund der doppelten Senkung insgesamt mehr Rhythmus erzeugen.

Auch die gezielte Verwendung von Kadenzen erzielt eine Wirkung, die den Gesamteindruck eines Gedichtes mit bestimmen (z.B. männliche Kadenzen = hart, energisch, weibliche = weich, fließend).

Erarbeitung eines metrischen Schemas

1.)    Lies die Strophe laut und markiere zunächst nur bei den mehrsilbigen Wörtern die betonte Silbe(n) mit einem Strich als Zeichen für eine metrische Betonung oder „Hebung“ (hier fett gesetzt).

z.B.:    Und der Haifisch, der hat Zähne/ Und die trägt er im Gesicht.

2.)    Fülle nun alle anderen Silben der mehrsilbigen Wörter, die du nicht betonst, mit einem kleinen Haken über dem Vokal der nichtbetonten Silbe als Zeichen für eine metrische „Senkung“ (hier kursiv gesetzt).

Und der Haifisch, der hat Zähne/ Und die trägt er im Gesicht.

3.)    Entscheide nun bei den einsilbigen Wörtern, ob sie betont oder unbetont gesprochen werden müssen, damit sich ein eindeutigter Sprechrhythmus, ein Metrum ergibt. Trage die Hebungen und Senkungen entsprechend ein.

Ergänzte Hebungen: Und der Haifisch, der hat Zähne/ Und die trägt er im Gesicht.

Ergänzte Hebungen und Senkungen: Und der Haifisch, der hat Zähne/ Und die trägt er im Gesicht.

4.)    Überprüfe das metrische Schema (hier: 4-hebiger Trochäus) an einer weiteren Strophe:

Mehrsilbige Wörter: Ach, es sind des Haifischs Flossen

Rot, wenn dieser Blut vergießt!

Mackie Messer trägt `nen Handschuh

Drauf man keine Untat liest.

Merh- und einsilbige Wörter:

Ach, es sind des Haifischs Flossen

Rot, wenn dieser Blut vergießt!

Mackie Messer trägt `nen Handschuh

Drauf man keine Untat liest.

(aus: B. Brecht: Neue Moritaten von Mackie Messer; Dreigroschenoper 1929)

Abschluss

Vergiss nicht, das Metrum zu deuten! Hier z.B. bekommt das Gedicht durch den Trochäus eine Schwere, weil die betonten Silben an erster Stelle stehen und entsprechend auffällig sind. Der Trochäus entspricht also dem Ernst einer Moritat.

Im Detail werden durch den Trochäus z.B. das Klagen ("Ach") und das Rot des Blutes betont, mit der entsprechend schauerlichen Wirkung.