Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Lyrik im thematischen Längsschnitt/Georg Heym: Gott der Stadt

Aus ZUM Projektwiki

GEORG HEYM

Der Gott der Stadt

Auf einem Häuserblocke sitzt er breit.

Die Winde lagern schwarz um seine Stirn.

Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit

Die letzten Häuser in das Land verirrn.

Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal,

die großen Städte knieen um ihn her.

Der Kirchenglocken ungeheure Zahl

Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer.

Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik

Der Millionen durch die Straßen laut.

Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik

Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blaut.

Das Wetter schwelt in seinen Augenbrauen.

Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt.

Die Stürme flattern, die wie Geier schauen

Von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt.

Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust.

Er schüttelt sie. Ein Meer von Feuer jagt

Durch eine Straße. Und der Glutqualm braust

Und frißt sie auf, bis spät der Morgen tagt.

aus: Georg Heym: Werke. Mit einer Auswahl von Entwürfen aus dem Nachlaß von Tagebuchaufzeichnungen.

Der erste Eindruck
Inhalt

"Der Gott der Stadt" hat fünf Strophen mit jeweils vier Versen. Die erste Strophe beschreibt die Situation des lyrischen ichs. Es sitzt hoch oben auf einem Häuserblock, beobachtet die Stadt und fühlt sich wütend und einsam. In der zweiten Strophe wird genauer auf die Aussicht eingegangen. Der Leser erfährt,dass es abends ist, und dass das lyrische ich einen Ausblick auf eine sehr große Stadtfläche hat. Kirchenglocken erklingen. Strophe drei beschreibt die Stadt, in der viele Menschen unterwegs sind, Musik gespielt wird und der Rauch der Fabriken in der Luft hängt. Die vierte Strophe des Gedichts geht wieder auf das lyrische ich ein. Es wird Nacht, wärend das lyrische ich immernoch zornig dort sitzt. Die letzte Strophe des Gedichts beschreibt nun, wie das lyrische ich seine Faust hebt und daraufhin ein Feuer in der Stadt ausbricht, bis der Morgen wieder angebrochen ist.

Sprache

Durch eine Vielzahl von negativ belegten Worten schafft es der Autor des Gedichts die Grundstimmung dieses zu verdüstern. Einsamkeit und Wut, die explizit im Gedicht benannt wurden, wurden so nochmals durch Worte wie "schwarz" (V. 2) und "verirrn" (V. 4) verdeutlicht. Im Laufe des Gedichts wird klar, dass sich das Lyrische ich der Stadt überlegen fühlt. So sitzt es beispielsweise "breit" auf einem Häuserblock (V. 1), wärend die großen Städte um ihn her "knien" (V. 6). Hierbei handelt es sich außerdem um eine Personifikation. Die Höhe des lyrischen ichs wird außerdem durch weitere Faktoren betont. Des öfteren wird nämlich beschrieben, dass sich das Wetter auf der selben Ebene befindet wie es ("Die Winde lagern schwarz um seine Stirn" (V. 2); "Das Wetter schwält in seien Augenbrauen" (V. 13), was das lyrische ich nicht nur körperlich, sondern auch geistig von der Stadt unter diesem trennt. Auch durch Verse wie "Wogt auf zu ihm aus schwarzer Türme Meer" (V. 8) wird diese Distanz deutlich. Es wirkt, als gehöre das lyrische ich nicht zu der Stadt. Dies wird vor allem in der dritten Strophe klar. Normalerweise positive Begebenheiten wie "Tanz" und "Musik" (V. 9) sowie das dasein von "Millionen" Menschen (V. 10) werden hier mit abwertenden Adjektiven wie "dröhnt" (V. 9) und "laut" (V. 10) beschrieben und sogar mit dem "Schlote[n] Rauch, d[en] Wolken der Fabrik" (V. 11) gleichsesetzt. Auch die Kirche wird eher negativ dargestellt. So scheint sie ein unangenehmer, zu großer Teil der Stadt für das lyrische ich zu sein ("Der Kirchenglocken ungeheure Zahl" V. 7), wärend die schon genannten Wolken der Fabrik mit "Duft von Weihrauch" (V. 12) verglichen werden. Von Anfang bis Ende des Gedichts scheint sich außerdem die Wetterlage drastisch zu ändern. Wärend die Winde anfangs nämlich nur "lagern" (V. 2), so fangen sie schon baldan zu "wog[en]" (V. 8) und zu "ziehn" (V. 12), wärend gleich darauf von "flattern[den] Stürme[n]" (V. 15) und "sträub[endem] Haupthaar" (V. 16) die Rede ist. Gegen Ende des Gedichts "braust" (V. 19) es dann schließlich. Dies zeigt auch den Gemütszustand des lyrischen ichs auf, wessen "Wut" (V. 3) sich nun nämlich zu "Zorn" (V. 16) umgewandelt hat. Der Ausbruch dieses Zorns wird durch die letzte Strophe deutlich. Hier wird beschrieben wie ein Feuer ausbricht und die Stadt zerstört ("Ein Meer von Feuer jagt durch eine Straße. Und der Glutqualm braust und frisst sie auf" (V. 18ff), nachdem das lyrische ich seine "Fleischerfaust" (V. 17) schüttelt. Diese Beschreibung der Geste erinnert an einen Aufruf, ein Zeichen an andere um etwas zu beginnen, so wie es oft in Aufständen oder kriegerischen Szenerien eingesetzt wird.

Form

Bei dem Metrum des Gedichts handelt es sich um einen reinen, durchgängigen Jambus, wärend das Reimschema aus ebenfalls reinen Kreuzreimen besteht. Diese durchgängigkeit unterstützt die Aussagekraft des Gedichts. Wie auch die Wut des lyrischen ichs ist die Form dieses undurchbrechbar, sie wird einfach weiter geführt, egal was kommt. Auch die Kadenzen weisen auf diese Ausdruckskraft hin. So handelt es sich in Strophe eins, zwei, drei und fünf durchgängig um betonte, also weibliche Kadenzen. In Strophe vier jedoch wird dieses Schema von zwei unbetonten Kadenzen unterbrochen, welche sich in Vers 13 und 15 befinden.

Entstehungshintergrund

Teilnehmende: KiANSG, VaSeNSG



[1]http://www.planetlyrik.de/lyrikkalender/gottfried-benns-gedicht-schoene-jugend/