Wendepunkte des 20. Jahrhunderts/Wandel durch Annäherung / Willy Brandts Ostpolitik

Aus ZUM Projektwiki


Willy Brandts Ostpolitik

Als Ostpolitik wird der Umgang der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ost-West-Konflikt bezeichnet. Willy Brandt war der erste Bundeskanzler, der sich an die DDR bzw. die Sowjetunion annäherte. Als politisches Ziel hatte er sich die Annäherung von Ost- und Westdeutschland gesetzt, ob als Berliner Bürgermeister, Außenminister oder Bundeskanzler.


Ostpolitik Vorgeschichte

Nach dem Zweiten Weltkrieg teilten die Alliierten Deutschland in den „Weststaat“ und in den „Oststaat“. Die BRD wurde von den USA, Frankreich und Großbritannien besetzt, wohingegen die Sowjetunion ihren kommunistischen Machtbereich mit der DDR erweiterte.  Anfangs konnte von keiner Ostpolitik der deutschen Staaten gesprochen werden, da die Alliierten die Politik fest in ihren Händen hatten. In der DDR gab es bis zu der Wiedervereinigung keine großen Unterschiede, da die Sowjetunion die Lage in der DDR unter ihrer Kontrolle hatte.

Konrad Adenauer, der erste deutsche Kanzler nach dem 2. Weltkrieg, hatte bei der Außenpolitik eine "Westbindung" als Ziel. Er wollte deutsche Anliegen und europäische Interessen unter dem Schutzschild der USA regeln. Außerdem beabsichtigte er eine Annäherung und Aussöhnung von Frankreich und Deutschland, aus Feindschaft sollte Partnerschaft werden. Adenauer wollte "Souveränitätsgewinn durch Souveränitätsverzicht" erzielen.

Mit dem "Deutschlandvertrag" 1952 wurde das Besatzungsregime beendet und Deutschland konnte weitgehend souveräne Entscheidungen treffen, auch wenn die Alliierten sich wichtige Rechte vorbehielten.

1955 wurde die BRD in die Nato aufgenommen.

1956 wurde die DDR in den 1955 gegründeten "Warschauer Pakt", das sowjetisch dominierte Militärbündnis der acht mittel- und osteuropäischen "Bruderstaaten", aufgenommen.

Willy Brandt

Willy Brandt wurde am 18. Dezember 1913 als Herbert Karl Frahm in Lübeck geboren. Als Reaktion auf die Machtübernahme der Nationalsozialisten ging die SAPD(Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands), in der er Mitglied war, in den Untergrund. Frahm nahm den Tarnnamen Willy Brandt an und konnte im April 1933 von Travemünde aus zunächst nach Dänemark und danach weiter nach Norwegen fliehen. In Oslo arbeitete er als Journalist und engagierte sich weiter politisch. Nach dem Kriegsende reiste er schon im Oktober 1945 nach Deutschland und berichtete über die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse für norwegische Zeitungen. Mit einem norwegischen Diplomatenpass kam Brandt Ende 1946 nach Berlin, um als „Presseattaché“(diplomatischer Mitarbeiter für die Presse) der norwegischen Militärmission zu arbeiten. Ende 1947 verzichtete er auf die norwegische Staatsangehörigkeit und ließ sich unter dem Namen Willy Brandt in Deutschland wiedereinbürgern.



Zeitstrahl über den weiteren Verlauf

1949-1957         Mitglied des Deutschen Bundestages, für die SPD

1957/58             Vorsitzender des Bundesrates

1957-1966         Berliner Bürgermeister

1964-1987         Parteivorsitzender SPD

1965-1992         Mitglied des deutschen Bundestags

1966-1969         Bundesminister des Auswärtigen Amts und Vizekanzler in der Großen    Koalition unter Kurt Georg Kiesinger (CDU).


28.9.1969        Amtsantritt zum Bundeskanzler                                                                                                  

10.12.1971      Friedensnobelpreis für seine Entspannungs- und Ostpolitik

6.5.1974          Überraschender Rücktritt Brandts vom Amt als Bundeskanzler, nach der Agentenaffäre um den DDR-Spion Günter Guillaume


Neue Ostpolitik

Wandel durch Annäherung

In seiner Regierungserklärung von 1969 sprach Willy Brandt als erster deutscher Kanzler von "zwei Staaten in Deutschland“, die eine besondere Beziehung haben sollten. Willy Brandt wurde durch den damaligen Leiter des Planungsstabes im Auswärtigen Amt, Egon Bahr, der auch die Formel „Wandel durch Annäherung“ vertrat, stark unterstützt.

Am 19.3.1970 und 21.5.1970 gibt es erste Gespräche zwischen Willy Brandt und dem DDR-Ministerratsvorsitzenden Willi Stoph. Die Gespräche deuten auf eine Normalisierung des deutsch-deutschen Verhältnisses hin, sie blieben allerdings ohne Folgen. Die Sowjetunion führte ein Doppelspiel, indem sie sich selbst als kompromissbereit zeigten, die DDR aber, wurde im Gegensatz dazu, zu einem strikten Abgrenzungskurs aufgefordert.

Am 12.8.1970 wird der „Moskauer Vertrag“ unterzeichnet, in dem der Friede zwischen der UdSSR und der BRD beschlossen wird. Einige Monate später wird der „Warschauer Vertrag“ unterzeichnet, der die Friedenserklärung zwischen Polen und der BRD beinhaltet. In beiden Verträgen werden die jeweiligen Grenzen für unverletzlich erklärt, beide Verträge werden aber erst zwei Jahre später ratifiziert. Durch die Verträge soll es zu einer Normalisierung in Europa kommen.



Bundesarchiv Bild 183-J0319-0010-002, Erfurt, Treffen Willy Brandt mit Willi Stoph.jpg

Erfurt, Treffen Willy Brandt mit Willi Stoph,21 Sturm, Horst, 19.3.1970, das Bild war Teil Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst - Zentralbild (Bild 183), Lizenz: 3.0, via Wikimedia Commons.


Am Tag der Unterzeichnung des „Warschauer Vertrags“ legte Brandt vor dem Ehrenmal des Warschauer Ghettos einen Kranz nieder. Er fiel dabei einige Sekunden auf die Knie nieder und verharrte in stiller Trauer. Diese Szene war höchst bedeutsam, wurde von vielen Kameras verfolgt und ging als symbolische Geste um die Welt.

Die vier Siegermächte unterzeichneten 1971 das „Viermächteabkommen“ über Berlin, in dem ein ungehinderter Transitverkehr nach West-Berlin garantiert wurde. Es war das erste erfolgreiche Abkommen nach dem “Kalten Krieg“. Erfolgreiche Berlin-Verhandlungen waren auch die Vorbedingung für die Ratifizierung des Moskauer- und Warschauer Vertrags.

Es gab allerdings auch innenpolitisch Gegner von Brandts Weg: die CDU/CSU, aber auch in Teilen die FDP und sogar SPD. Doch die Absetzung Brandts als Kanzler misslang mit dem Misstrauensvotum und so wurden die Ostverträge ratifiziert.





Grundlagenvertrag

Bundesarchiv Bild 183-L1221-0020, Berlin, Grundlagenvertrag, Pressekonferenz.jpg


Berlin, Grundlagenvertrag, Pressekonferenz, Link, Hubert, 21.12.11972, das Bild war Teil Allgemeiner Deutscher Nachrichtendienst - Zentralbild (Bild 183), Lizenz: 3.0, via Wikimedia Commons .


Ab Sommer 1972 kam es wieder zu deutsch-deutschen Verhandlungen und am 21.12.1972 einigte man sich erfolgreich auf den Grundlagenvertrag. Dadurch einigte man sich auf gute nachbarschaftliche Beziehungen, die Unverletzlichkeit der Grenzen sowie auf das Respektieren der "Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der beiden Staaten in seinen inneren und äußeren Angelegenheiten". Außerdem wurde ein Austausch über Vertreter vereinbart. All dies bedeutete zwar erhebliche Zugeständnisse an den zweiten deutschen Staat, allerdings keine Anerkennung im völkerrechtlichen Sinne. Die CSU wollte gegen den Grundlagenvertrag klagen, aufgrund des im Grundgesetzt geschrieben  Wiedervereinigungsgebots. Die Klage wurde allerdings vom Bundesverfassungsgericht abgelehnt.

In Folge der Ostverträge und des "Grundlagenvertrages" wurden die beiden deutschen Staaten am 18. September 1973 als Vollmitglieder in die UNO aufgenommen.

Nachdem am 11. Dezember 1973 mit der Tschechoslowakei der "Prager Vertrag" abgeschlossenen wurde, hielt die Bundesrepublik nun zu den allermeisten Staaten des Warschauer Paktes diplomatische Kontakte. So  etwas war zehn Jahre zuvor noch kaum vorstellbar.

Ab Herbst 1973 nahm die BRD als 12. Mitglied an den NATO-Sitzungen teil.  Ab Juli 1973 nahm die Bundesrepublik an der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) teil. Diese Konferenz zielte im Endeffekt auf die Festschreibung der politischen Rahmenbedingungen - und aus östlicher Sicht auch auf die Sicherheit der territorialen Grenzen in Europa ab.

Willy Brandt trug einen wichtigen Teil zum Mauerfall bei, da er die ersten Annäherungsschritte machte. Außerdem hielt er am 10. November 1989 eine Rede am Rathaus Schöneberg, in der er seine Freude über die Ereignisse aussprach. Ein berühmtes Zitat aus dieser Rede: „Es wächst zusammen, was zusammengehört.“






Die Relevanz von Willy Brandts Ostpolitik für die Gegenwart

Autorin: RK

Auch wenn Willy Brandt nicht direkt am Mauerfall beteiligt war, so trug er dennoch einen wesentlichen Anteil daran, dass sich das politische Verhältnis zwischen den Ostblockstaaten und der BRD verbesserte. Er war es, der als erster Schritte in Angriff  nahm, um auf langfristige Sicht eine Lösung für teilweise seit dem zweiten Weltkrieg bestehende Konflikte zu finden. Es wurden Abkommen geschlossen. Und auch wenn nicht immer sofort Erfolge zu sehen waren, so war dies doch ein wichtiger Schritt für beide Seiten.

Auch heutzutage kann man aus seiner Politik noch Lehren ziehen. Auch heutzutage gibt es noch viele Konflikte, die bewältigt werden müssen, um miteinander auszukommen: den Ukraine - Konflikt, den Nah-Ost Konflikt, die Konflikte in Mali, im Jemen, in Syrien und in Afghanistan, um nur einige zu nennen. Anstatt den Konflikt ohne Ziel weiterzuführen und eine eventuelle Eskalation in Kauf zu nehmen, sollte man auf eine Lösung und Schlichtung hinarbeiten. Das ist besser, als Kriege, kalte Kriege oder Bürgerkriege mit vielen Opfern zu führen.

Ein immerwährender Konflikt ist auf die Dauer keine zufriedenstellende Option. So einfach es auch klingt, sind Konflikte doch oftmals verzwickt und nicht einfach zu lösen. Durch Annäherungen und Gespräche kommt man einer Lösung zwar näher, bis der Konflikt allerdings gelöst ist, kann lange dauern. Beide Parteien müssen dazu Kompromisse eingehen und sich überlegen, in wie weit sie zu Zugeständnissen bereit sind. Wenn eine direkte Kontaktaufnahme wegen scheinbar unüberbrückbarer Differenzen nicht möglich ist, kann es hilfreich sein, eine dritte Partei als Vermittler einzuschalten.

Eine Politik des Aufeinanderzugehens ist auch aus humanitären Gründen unerlässlich. Man muss sich nur die Situation der Menschen im Jemen oder in Syrien anschauen oder die Flüchtlingsströme, die Richtung Europa unterwegs sind.  

Sie ist auch wichtig in einer Zeit, in der trotz globaler Strukturen viele Nationen wieder Abschottungstendenzen  aufweisen, Grenzen undurchlässiger werden und mehr die Unterschiede statt der Gemeinsamkeiten in der Politik unterstrichen werden.



Quellen
  • Blume, Dorlis/Haunhorst, Regina/Lepper-Binnewerg, Antoinette/Zündorf, Irmgard: Biografie Willy Brandt, in: LeMO-Biografien, Lebendiges Museum Online, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, URL: https://www.hdg.de/lemo/biografie/willy-brandt.html (Zuletzt besucht am 26.03.2020)