Nelly-Sachs-Gymnasium Neuss/Lyrik im thematischen Längsschnitt/Nelly Sachs: Gebete für den toten Bräutigam

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Gebete für den toten Bräutigam (1946)

Die Kerze, die ich für dich entzündet habe,

Spricht mit der Luft der Flammensprache Beben,

Und Wasser tropft vom Auge; aus dem Grabe

Dein Staub vernehmlich ruft zum ewgen Leben.

O hoher Treffpunkt in der Armut Zimmer.

Wenn ich nur wüßte, was die Elemente meinen;

Sie deuten dich, denn alles deutet immer

Auf dich; ich kann nichts tun als weinen.

Wenn ich nur wüsste,

Worauf dein letzter Blick ruhte.

War es ein Stein, der schon viele letzte Blicke

Getrunken hatte, bis sie in Blindheit

Auf den Blinden fielen?


Oder war es Erde,

Genug, um einen Schuh zu füllen,

Und schon schwarz geworden

Von soviel Abschied

Und von soviel Tod bereiten?

Oder war es dein letzter Weg,

Der dir das Lebewohl von allen Wegen brachte

Die du gegangen warst?

Eine Wasserlache, ein Stück spiegelndes Metall,

Vielleicht die Gürtelschnalle deines Feindes,

oder irgend ein anderer, kleiner Wahrsager

Des Himmels?

Oder sandte dir diese Erde,

Die keinen ungeliebt von hinnen gehen lässt,

Ein Vogelzeichen durch die Luft,

Erinnernd deine Seele, dass sie zuckte

In ihrem qualverbrannten Leib?

aus: Nelly Sachs: In den Wohnungen des Todes (1947)

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